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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zsuzsa Bánk
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Wir.
    Ich hatte wenige Erinnerungen an meine Mutter. Im Grunde kannte ich sie nur von Fotos, die mein Vater in einem kleinen Kasten aufbewahrte. Schwarzweißbilder waren es, mit dickem weißen Rand. Meine Mutter beim Tanz. Meine Mutter mit geflochtenen Zöpfen. Meine Mutter barfüßig. Meine Mutter, die ein Kissen auf dem Kopf balancierte. Ich schaute mir die Bilder häufig an. Es gab Zeiten, in denen ich nichts anderes tat.

    Mit meinem Vater war es ähnlich. Er verbrachte ganze Tage damit, die Bilder auf dem Tischtuch auszubreiten und sie immer wieder neu zu mischen - wie bei einem Kartenspiel, vielleicht zehn Mal, vielleicht hundert Mal. Daß es Tage waren, wußte ich, obwohl ich damals sicher keinen Begriff von Zeit hatte. Für mich gab es nur Zeiten, die ich ertragen, und Zeiten, die ich kaum ertragen konnte.

    Mein Vater hinterließ seine Fingerabdrücke, und ich wischte sie weg, wenn ich die Fotos aus der Kiste nahm. Ein Bild mochte er besonders. Es zeigte meine Mutter auf dem Feld. Sie hatte Essen in einer Blechkanne dabei. Ihr Kopftuch hatte sie unter dem Kinn zusammengeknotet, und ihre freie Hand hielt sie wie einen Schirm über die Augen. Sie trug Sandalen, deren Bänder sie um die Knöchel gebunden hatte. Niemand trug damals Sandalen, schon gar nicht auf dem Feld. Mein Vater gab dieses Bild nicht aus seinen Händen. Er lag damit auf der Küchenbank, starrte zur Decke und rauchte. Nicht einmal den Hund hörte er dann, der laut vor ihm bellte. Meinen Bruder Isti und mich schaute er an, als seien wir Fremde. Wir nannten es tauchen. Vater taucht. Vater ist zum Tauchen gegangen. Ist Vater zurück vom Tauchen?, fragten wir einander.

    Ich glaube, wir haben unseren Vater nie ohne Zigarette gesehen. Seine Kleider rochen danach, seine Hände, seine Haare. Seine Zigaretten warf er auf den Boden, um die Glut auszutreten, und wenn er auf dem Sofa lag, entdeckten wir weiße Punkte aus Papier auf seinen Sohlen. Selbst draußen im Weinberg fanden wir die Reste zwischen den Reben und im Keller, unter den Weinfässern, neben den Körben. Manchmal schwamm etwas Tabak in einer Flasche, und wir bemerkten es erst, wenn wir den Wein schon in Gläser gegossen hatten.

    Als es meine Mutter für mich noch gab, erzählte sie uns Märchen, die mein Bruder für die Wahrheit hielt. Er glaubte ihr, wenn sie sagte, unsere Großmutter sei in einer Nacht ergraut. Später erzählten uns andere diese Geschichte immer wieder - nur ein wenig anders. Die Geschichte meiner Mutter, die das Land ohne ein Wort verlassen hatte. Und die Geschichte ihrer Mutter, die in einer einzigen Nacht alt geworden war.

    Meine Mutter hatte sich damals nicht von uns verabschiedet. Sie war zum Bahnhof gelaufen, wie an vielen anderen Tagen auch. Sie war in einen Zug gestiegen, Richtung Westen, Richtung Wien. Wie selten Züge von unserem Bahnhof aus in Richtung Wien fuhren, das wußte ich. Meine Mutter muß lange gewartet haben. Sie hatte genügend Zeit, es sich anders zu überlegen. Um zurückzukommen. Um uns Auf Wiedersehen zu sagen. Um uns noch einmal anzuschauen.

    Als sie noch bei uns lebte, arbeitete meine Mutter in einer Fabrik in Pápa. Auf ihrem Fahrrad fuhr sie jeden Morgen durch den Nebel. Unser Hund lief kläffend neben ihr her, bis sie ihn an der großen Straße abhängte. Ich wachte auf, sobald ich sie in der Küche hörte. Wenn sie die Tür ins Schloß fallen ließ, stand ich auf, um ihr vom Fenster aus nachzusehen. Ich zog die Gardinen zur Seite und hob meine Hand, um ihr zu winken. Ich nannte sie heimlich Nebelspalterin. Meine Mutter haßte unser Dorf. Sie sagte, Kinder sterben hier, weil sie in Jauchegruben fallen. Sie ersticken. Wo gibt es das sonst?

    Wenn Isti sich vor die Tür legte, weil er sie nicht gehen lassen wollte, kam unsere Mutter zu spät zur Arbeit. Nicht einmal zehn Minuten waren es, aber ihr Name stand länger als eine Woche auf einem Stück Schiefer hinter dem Fabrikeingang, damit jeder lesen konnte: Velencei Kálmáns Frau hat sich verspätet. Die Arbeit in der Fabrik hatte ihren Kehlkopf zerstört, wie meine Mutter sagte. Zwischen ihren Zähnen hatte sie Fäden aus Baumwolle festgehalten, während eine Maschine die Fäden säuberte. An einem Webstuhl hatte sie mit ihren Händen rotes Garn von rechts nach links und wieder zurück gejagt. Wenn der Faden riß, weil der Tag heiß war und die Luft trocken, hatte sie ihn an ihren Lippen befeuchtet und dann zusammengeknotet. War die Spule leer, hatte sie eine neue eingesetzt und dabei

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