Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.
zwischendurch warf der Direktor so grimmige Blicke nach mir, daß ich mich allmählich fragen mußte, ob er nicht vielleicht anstelle des Ermäßigungsantrags einen Haftbefehl ausstellte.
Irgendwann kommt der Moment, da selbst das längste Protokoll beendet ist. So geschah es auch hier, und der Direktor zögerte nun nicht länger, sich mit dem Innenminister zu einer Konferenz auf höchster Ebene zurückzuziehen. Nur einmal steckte er kurz den Kopf durch die Türe und fragte, was wir wünschten. Die beste Ehefrau von allen war, es läßt sich nicht leugnen, einem Nervenzusammenbruch nahe und brachte nichts weiter hervor als kleine, spitze Schreie: »Quanto costa? Quanto costa?«
Jetzt schien selbst der Direktor zu merken, daß wir ein wenig ungeduldig wurden, rief nach dem Portier und beauftragte ihn, uns sofort mit einigen italienischen Zeitschriften zu versorgen. Endlich schliefen wir ein.
Als wir erwachten, sahen wir uns von der gesamten Belegschaft des Officio Stampa umringt. Alle lächelten. In der Mitte stand der Direktor und übergab mir eigenhändig die ersehnte Ausweiskarte. Zwar konnte ich den Text, weil er italienisch war, nicht lesen, aber die Freundlichkeit ringsum erwärmte unsere Herzen, und wir traten guter Dinge in die kühle Nacht hinaus...
»Ausweis? Was Ausweis?« fragte der Hotelportier in gebrochenem Deutsch. »Papier schreibt, du morgen gehen Verkehrsministerium. Transportino.« Mehr tot als lebendig fielen wir in unsere damastenen Betten unter dem brokatenen Baldachin. Das Grand Hotel hatte nämlich in der Zwischenzeit unser kleines, spottbilliges Dreißig-Dollar-Zimmer weitervermietet, und jetzt war nur noch das ehemalige Fürstenappartement Seiner Majestät König Victor Emanuels I. frei, Tagespreis fünfundachtzig Dollar.
Nach einem friedlichen, erfrischenden Schlummer von zehn Minuten weckte mich meine Frau und beschwor mich, in der Sache der Fahrpreisermäßigung keinen weiteren Schritt mehr zu unternehmen, auch nicht den allerkleinsten, denn selbst der allerkleinste würde uns ins Grab bringen.
»Weib«, erwiderte ich, »es geht nicht um die siebzig Prozent. Es geht um die Menschenwürde an sich...«
Mit einem lässig hingeworfenen »Transportino« begannen wir am nächsten Morgen unsre Taxi-Rundfahrt. Wir erfreuten uns bereits gewisser Beliebtheit unter den römischen Chauffeuren. Der Fahrer verstand uns auf Anhieb. Bald darauf standen wir vor einem grandiosen Palastportal, das von zwei Hel- lebardieren in altmodisch pompösen Gewändern bewacht wurde. Wir traten ein, durchquerten das Vatikanische Museum, verließen es auf der anderen Seite, mieteten einen zwei- rädrigen Karren, sagten diesmal nicht »Transportino«, sondern »Transportatia«, und erreichten Sorrent, einen bekannten, inmitten lieblicher Wälder gelegenen Kurort.
Es ließ sich nicht länger leugnen: Ich war ein gebrochener Mann, in geistiger, seelischer, körperlicher und finanzieller Hinsicht. Ängstlich schielte ich zu meiner Frau hinüber. Aber da zeigte sich, was eine wahre Lebensgefahrtin ist. Die beste Ehefrau von allen straffte sich, preßte die Lippen zusammen und äußerte mit unheilvoller Entschlossenheit:
»Ein Schuft, wer jetzt aufgibt. Wir werden dieses verdammte Verkehrsministerium finden, und wenn wir daran zugrunde gehen.«
Es wäre aussichtslos, den Gemütszustand beschreiben zu wollen, in dem wir uns wieder auf den Weg machten. So ähnlich muß den ersten Christen zumute gewesen sein, als sie sich zum Rendezvous mit den Löwen begaben...
Die Sonne war noch nicht untergegangen, als wir vor dem Verkehrsministerium standen. Wie wir es gefunden hatten? Zeit und Raum reichen nicht aus, diese schier unglaubliche Geschichte zu erzählen, in der ein geduldiger Autobusschaffner, ein südafrikanischer Pilot und ein gutherziger Kellner, dessen Onkel in Ferrara glücklicherweise etwas Englisch verstand, die tragenden Rollen spielten.
Im Verkehrsministerium empfing man uns mit Widerwillen, gemildert durch Überraschung. Vermutlich war ich der erste Auslandsjournalist, der sich bis zu dieser letzten Etappe durchgeschlagen hatte.
Mit neuer Kraft nahmen wir den Angriff auf. Man hetzte uns durch sämtliche Stadien der amtlichen Klaviatur, vom piano superiore über das andante cantabile bis zum allegro moderato. In der ausdrucksreichen Gebärdensprache, die wir uns mittlerweile angeeignet hatten, machten wir unser Anliegen allgemein verständlich: Wir - sch-sch-sch-sch - Eisenbahn - (zusätzlicher Pfiff) -
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