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Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.

Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.

Titel: Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ephraim Kishon
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Autor in Hinkunft von keinem Land ein Einreisevisum bekommt.
     
    An einem klimaanlagetemperierten Morgen erwachten wir und sahen, daß es Zeit zur Heimkehr war. Wir hatten eine wunderschöne Reise gehabt, hatten die Alte und die Neue Welt kennengelernt, hatten überall interessante Menschen aus Israel getroffen, die meisten unserer ausländischen Botschaften besucht und ein hervorragendes Konzert des Israelischen Symphonie-Orchesters gehört, das sich gerade auf einer Tournee durch die Vereinigten Staaten befand. Wahrscheinlich waren es diese vielen Begegnungen mit Israelis, die uns immer heftiger nach Hause trieben. Wahrscheinlich waren es die überwältigenden Landschaftsbilder, die ragenden Bergesgipfel Europas und die unermeßlichen Prärien Amerikas, die unsere Sehnsucht nach jenem an der Kante Asiens gelegenen Miniaturstaat entfachten, in dem wir leben und in dem es auch sonst sehr originell zugeht.
    Wir sehnten uns nach unsrer Heimat.
    Mit einemmal waren sie uns fürchterlich fremd, all diese fremden Länder mit ihrer erstklassigen Organisation, mit ihrem perfekt eingerichteten Leben, mit Expreßbriefen, die tatsächlich vor der normalen Postzustellung ankommen, mit Bahnhofsuhren, von denen man die richtige Zeit ablesen kann, mit Personenaufzügen, die bis ins oberste Stockwerk fahren, mit Feuerzeugen, die wirklich Feuer geben. Wir wollten endlich wieder zweifeln dürfen, ob die Zeit, die wir von einer öffentlichen Uhr ablasen, richtig war oder nicht, wollten endlich wieder den Briefträger verfluchen, der den dringend erwarteten Expreßbrief nicht zugestellt hatte, weil ihm nicht sofort nach dem ersten Läuten die Tür geöffnet wurde, wollten endlich wieder feuchte Zündhölzchen vergebens an der feuchten Phosphorfläche reiben, endlich wieder in einem Land sein, wo es einerseits Atomreaktoren gibt und andererseits zu den Personenaufzügen die Tafel »Außer Betrieb« gleich mitgeliefert wird. Wir wollten wieder oben auf dem Berg Karmel stehen und plötzlich, während wir trunkenen Blicks das unvergleichliche Panorama des Hafens von Haifa in uns aufnahmen, einen schmerzhaften Tritt in den Hintern verspüren und jäh herumfahren und uns einem bärtigen Unbekannten gegenübersehen, der zwar ein wenig überrascht, aber in keiner Weise verlegen die Worte hören läßt: »Entschuldigen Sie - ich habe Sie für jemand ändern gehalten.«
    »Und? Was soll's? Darf ich fragen, warum Sie jemand ändern in den Hintern getreten hätten?«
    »Nein, das dürfen Sie nicht. Das geht Sie gar nichts an.«
    O Heimat... O Heimat...
    Man muß es uns am Gesicht angesehen haben. Onkel Harry zog mich beiseite und sprach mir tröstend zu:
    »Ich weiß, daß ihr die Tage bis zu eurer Abreise zählt. Und das macht euch natürlich nervös. Wir Amerikaner haben große Erfahrung im täglichen Kampf gegen diesen Fluch unseres Jahrhunderts - gegen die Nervosität. Wir wissen Bescheid. >Entspannung< heißt das Motto. Es hilft nichts, sich vor Nervosität zu verzehren. Warum seid ihr so nervös? Entspannt euch! Lacht! Seid glücklich!«
    Mit diesen Worten streckte sich Onkel Harry auf die Couch und schloß seine Augen:
    »Ich entspanne mich... ich bin bereits entspannt... ich bin vollkommen ruhig... ich habe alle Sorgen vergessen... ich wiege mich auf den sanften Wellen der Entspannung... Großer Gott! Halb zwölf?! Mein Anwalt wartet auf mich...«
    Er sprang auf und stürzte in den glühend heißen Sommertag hinaus. Ich nahm seinen Platz ein und versuchte seinem Rat zu folgen. Ich versuchte, mich zu entspannen, nicht nervös zu sein, meine Sorgen zu vergessen, mich frei und unbelastet zu fühlen, an nichts zu denken, nicht an unsere Abreise und nicht an die neuen Koffer, deren Schlüssel verlorengegangen waren... nicht an unsere Wohnung in Tel Aviv, in der das Wasser jetzt schon einen halben Meter hoch stehen mußte, weil wir den Hahn nicht abgedreht hatten... nicht an das Flugzeug, das nach dem Gesetz der Serie für einen Absturz fällig war... nicht an unsere Pässe, die wir schon seit drei Tagen nirgends finden konnten... nicht an das Telegramm, das ich schon längst hätte abschicken sollen... nicht an... nicht an...
    Verzweifelt hockte ich auf der Couch, zitternd am ganzen Körper, ein klägliches Nervenbündel, ein Wrack. Die Erkenntnis, daß jeder beliebige Amerikaner sich beliebig entspannen konnte und ich trotz größter Mühe nicht, brachte mich dem Irrsinn nahe. Tante Trude, die zufällig ins Zimmer kam, merkte das sofort, brach

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