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Der Siegelring - Roman

Titel: Der Siegelring - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Familie sitzen. Das gemeinsame Elend, die Trauer und die Einsamkeit führten sie zusammen. Annik fand Unterschlupf für sie beide bei den Überlebenden und half dem verstörten Rayan, wieder Mut zu fassen.
    Sie lächelte bei dem Gedanken, wie gut Rayan es geschafft hatte, sich bei den Ausländern trotz seiner jungen Jahre ein beträchtliches Ansehen zu verschaffen. Die Römer hatten sich schon Jahre vor ihrer Geburt in der Flussmündung niedergelassen und einen Hafen angelegt. Es hatte nie besondere Zwistigkeiten zwischen ihnen und den einheimischen Kelten gegeben. Sie hatten den Handel gefördert, Straßen und Wege gebaut und den Handwerkern Arbeit gegeben. Manche Bequemlichkeiten ihrer Zivilisation wollte man heute sicher nicht mehr missen, dachte Annik. Und Gnaeus Iulius Celerinus, der ein großes Gut im Landesinneren bewirtschaftete, hatte von Rayans Vater oft genug Pferde erworben. Er war nur zu glücklich, dem fähigen jungen Mann Arbeit und Unterkunft zu geben.
    Im Laufe der Jahre hatte Rayan zunehmend mehr Verantwortung für die Pferdezucht des Römers übernommen, und so blieb es nicht aus, dass er Lucilius Aurelius Falco auffiel, der seit dem Winter als Gast bei Celerinus weilte. Wie Rayan mit glühenden Augen Annik bei Jahresbeginn berichtete, war dieser Römer der Praefect einer Ala, also einer Reitereinheit, der Legio I Minerva. Er war nach Nordgallien gekommen, um sowohl Hilfstruppen anzuwerben als auch Pferde zu kaufen. Stolz berichtete Rayan, wie beeindruckt der Römer von seiner Kraft, seinem Kampfesmut und Geschick mit den Tieren war. So allmählich und wann immer Rayan bei ihr vorbeischaute,
bemerkte Annik, dass er sich mehr und mehr mit dem Gedanken anfreundete, sich der Legion anzuschließen. Den größten Reiz übte, wie sie vermutete, die Zusage aus, dass ein Angehöriger der Auxiliartruppen nach der Entlassung aus der Legion die römische Staatsbürgerschaft erhielt. Genauso zog Rayan allerdings das Leben in fremden Ländern an. Sie selbst hatte Falco dann ebenfalls kennen gelernt, einen großen, sehnigen Mann Anfang der dreißig, mit einem schmalen, scharf geschnittenen Gesicht, das unbedingte Willensstärke ausstrahlte. Seine dunklen Haare hatte er nach Römerart kurz geschnitten, und er war bartlos, doch er trug nicht die militärische Tracht des Praefecten, sondern die Kleidung der einheimischen Gallier. Dennoch bestand kein Zweifel daran, dass er ein Befehlshaber war. Annik verstand, dass Rayan ihn verehrte. Auch sie empfand widerwillig Achtung vor Aurelius Falco, der zu diesem Namen offensichtlich nicht unverdient gekommen war - er hatte wahrlich etwas von einem scharfsichtigen Falken.
    Vor einem Monat hatte Rayan ihr schließlich mitgeteilt, dass er im Sommer mit der Truppe ziehen würde, die Praefect Falco angeworben hatte, um sich als Zureiter um die Pferde zu kümmern. Außerdem wolle er zukünftig mit dem Namen Martius gerufen werden. Seine Begeisterung war so groß, dass er nicht merkte, wie wortkarg Annik auf diese Ankündigung reagierte und in sich gekehrt blieb. Aber in dieser letzten Nacht nun hatte er sie gebeten, ihn als seine Gefährtin zu begleiten.
    Nun musste sie ihre Entscheidung treffen.
    Annik machte einen Schritt auf das Wasser zu und ließ die Wellen an ihren nackten Zehen lecken. Es war kühl, aber nicht kalt, und entschlossen legte sie das Hemd ab und lief ins Meer. Das Wasser lag flach, blaugrün schimmernd
und glasklar vor ihr. Erst nach etlichen Schritten verlor sie den Boden unter den Füßen. Das Schwimmen machte ihr Freude, wusch die Zweifel und ungelösten Fragen für eine Weile fort. Sie erreichte den Felsen vor der Küste, drehte sich auf den Rücken und ließ sich von den Wellen schaukeln, während sie zu ihrer kleinen Insel schaute. Einst hatte dort das Dorf gestanden, in dem sie aufgewachsen war. Nun gab es nur noch ein paar von Ranken überzogene Mauerstümpfe und verfallene Herdstätten. Ihre Hütte war das einzige vollständige Bauwerk. Niemand hatte es ihr damals streitig gemacht, als sie darauf bestand, auf dem durch die Flut abgetrennten Stückchen Land zu wohnen. Ja, man hatte ihr sogar geholfen, aus den verbliebenen Bruchsteinen und Balken eine recht solide Behausung zu bauen. Hier war ihr Refugium, zu dem sie des Abends zurückkehrte. Weit war es nicht vom Dorf entfernt, den Fußmarsch morgens und abends nahm sie gerne auf sich. Der einzige Nachteil der Insel war, dass zwei Mal am Tag, wenn die Flut hoch stand, der Weg zum Festland überflutet

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