Der Siegelring - Roman
würde sich etwas machen lassen, wenn vielleicht auch nicht auf die Schnelle.
Schließlich fiel mein Blick auf den dicken Umschlag. Ich riss ihn gierig auf. Ja, Tommy hatte sein Versprechen gehalten. In meinen Händen lag die Reproduktion des Stundenbuchs der Stiftsdame zu Sankt Maria im Kapitol in Köln - Anna Dennes, geschrieben im Jahre 1498.
Mit dem Buch in der Hand atmete ich einmal tief ein und fand einen gewissen Frieden in mir.
Ich hatte Valerius gefunden - und wieder verloren. Vielleicht war jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt, möglicherweise war es zu schnell, zu heftig gewesen. Aber eines war mir vollkommen klar: Ich würde ihn suchen. Durch alle Zeiten und Welten hindurch würde ich nach ihm suchen.
In dieser Welt, das schwor ich mir, würde ich ihn wieder finden.
Eine andere Welt, in der ich ihn ebenfalls suchen würde, war die der Anna Dennes von Köln.
Ich holte den Ausdruck, den ich von unserer römischen Geschichte hergestellt hatte und schrieb mit der Hand, langsam und in für mich sehr ordentlichen Buchstaben eine letzte Seite …
34. Kapitel
Anderwelt
Es wurde dunkel um Annik, doch Valerius’ Gesicht war das Letzte, was sie mit ihren schwindenden Sinnen wahrnehmen konnte. Dann begann ihre Wanderung durch die Unendlichkeit, ohne Angst, wissend, dass sie sie finden würde - die Regenbogenbrücke, die sich über den Abgrund zwischen den Welten spannte und die sie in die Anderwelt führen würde. Mutig überschritt sie den farbigen, leuchtenden Bogen und erreichte die freundlichen Länder am anderen Ufer. Sie wandelte unter blühenden Apfelbäumen, entlang an silberhellen Bächen und schilfbestandenen Seen, sie begegnete den Ahnen und den Helden der Vergangenheit, aber auch anderen, manchmal Furcht erregenden, manchmal sie anwidernden Gestalten. Sie wandelte lange und vergaß Wehmut, Schmerzen und Trauer. Sie verlor nach und nach ihre Erinnerungen an das Leben auf Erden. Bis auf eine. Das tiefste Gefühl, das sie je empfunden hatte, war bei ihr geblieben - ihre Liebe vergaß sie nie, und die Sehnsucht blieb immer bei ihr.
Als sie der Wanderungen müde geworden war, suchte sie den Kessel der Wiedergeburt auf und entschloss sich, darin zu baden …
Und im Jahre des Herren 1470 wurde in Colonia, jetzt das »Heilige Köln« genannt, ein Kind der Schande geboren. Ein Mädchen mit rabenschwarzem Haar …
Ihre Mutter nannte es Anna.
2. Auflage
Originalausgabe November 2003 bei Blanvalet,
einem Unternehmen der Verlagsgruppe
Random House GmbH
Copyright © 2003 by
Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlagmotiv: akg-images
Lektorat: Silvia Kuttny
Redaktion: Petra Zimmermann
Herstellung: Heidrun Nawrot
eISBN : 978-3-641-03068-1
www.blanvalet.de
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