Der Simulant
risikoreiches, überaus teures Unterfa n gen. Und wenn es ihr nicht gelinge, mit einem intakten Fötus im Leib zurückzukehren, werde man sämtliche künftigen Missionen streichen.
Und ich, äußerlich für das Jahr 1734 verkleidet, inne r lich verstopft, ich krümme mich vor Schmerzen und versuche dahinter zu kommen, was sie unter einem typischen Mann versteht.
»Man hat mich hier nur eingesperrt, weil ich den Le u ten die Wahrheit über sich selbst erzählt habe«, sagt sie. »Du warst der einzige zeugungsfähige Mann hier im Haus.«
Aha, sage ich, das verbessert die Sache ja entschi e den. Jetzt wird mir plötzlich alles klar.
Sie wollte mir nur Bescheid sagen, dass sie heute Abend ins Jahr 2556 zurückgeholt wird. Wir würden uns niemals mehr wieder sehen, und ich solle wissen, dass sie mir dankbar sei.
»Ich bin dir zutiefst dankbar«, sagte sie. »Und ich li e be dich wirklich.«
Und ich stand dort mit ihr auf dem Korridor, im kräft i gen Licht der aufgehenden Sonne, und zog einen schwarzen Filzstift aus der Brusttasche ihres Laborki t tels.
Ihr Schatten fiel zum letzten Mal an die Wand hinter ihr, und ich nahm den Stift und zeichnete den Umriss nach.
Und Paige Marshall sagte: »Was soll das?«
So wurde die Kunst erfunden.
Und ich sagte: »Nur für den Fall, für den Fall, dass du nicht verrückt bist.«
46
Bei den meisten Zwölf - Stufentherapien wird man in der vierten Stufe aufgefordert, einen vollständigen und schonungslosen Bericht über sein Leben als Süchtiger aufzuzeichnen. Jeden lahmen, beschissenen Auge n blick seines Lebens soll man in ein Notizbuch eintr a gen. Man soll ein komplettes Inventar seiner Verbr e chen aufstellen. Damit einem das immer bewusst ist. Und dann kann man damit anfangen, das alles zu r e geln. Das gilt für Alkoholiker, Drogenabhängige und übermäßige Esser genauso wie für Sexsüchtige.
Auf diese Weise kann man sich jederzeit die schlimm s ten Augenblicke seines Lebens vor Augen führen.
Trotzdem geht es den Leuten, die sich an die Verga n genheit erinnern, nicht unbedingt besser.
Man hat mich festgenommen, mit Haftbefehl, und in meinem gelben Notizbuch steht alles über mich. Über Paige und Denny und Beth. Nico und Leeza und Tanya. Die Polizisten sitzen mir gegenüber an einem großen Tisch in einem verschlossenen, schalldichten Raum und lesen in meinen Aufzeichnungen. An einer der Wände hängt ein Spiegel, dahinter ist garantiert eine Videokamera versteckt.
Und die Polizisten fragen, was ich denn damit habe erreichen wollen, dass ich die Verbrechen anderer Leute auf mich genommen habe.
Sie fragen, was ich mir davon versprochen habe.
Ich wollte die Vergangenheit abschließen, sage ich.
Die ganze Nacht lesen sie in meinen Aufzeichnungen und fragen mich, was das alles zu bedeuten habe.
Schwester Flamingo. Dr. Brandt. »An der schönen blauen Donau.«
Das, was wir sagen, wenn wir nicht die Wahrheit s a gen können. Was irgendetwas sonst noch bedeutet, weiß ich nicht.
Die Polizisten fragen, ob ich weiß, wo sich eine Patie n tin namens Paige Marshall aufhält. Sie wird als Zeugin gesucht, sie soll über den mutmaßlichen Erstickung s tod einer Patientin namens Ida Mancini befragt we r den. Meiner mutmaßlichen Mutter.
Miss Marshall ist vorige Nacht aus der geschlossenen Abteilung verschwunden. Es gibt keinerlei Hinweis auf einen gewaltsamen Ausbruch. Keine Zeugen. Nichts. Sie ist einfach verschwunden.
Die Angestellten des St. Anthony ’ s hätten ihr den Wahn gelassen, dass sie Ärztin sei, erklären mir die Polizisten. Sie hätten ihr erlaubt, einen alten Laborki t tel zu tragen. Auf diese Weise sei sie kooperativer g e wesen.
Die Angestellten sagen, sie und ich seien gut befreu n det gewesen.
»Das stimmt nicht so ganz«, sage ich. »Das heißt, ich habe zwar öfter mal mit ihr gesprochen, aber eigen t lich habe ich nichts über sie gewusst.«
Die Polizisten sagen, ich hätte nicht sonderlich viele Freunde unter den Schwester n.
Siehe auch: Cl a re, staatlich geprüfte Krankenschwe s ter.
Siehe auch: Pearl, Schwesternhelferin.
Siehe auch: das alte Dunsboro.
Siehe auch: die Sexsüchtigen.
Ich frage sie nicht, ob sie sich mal die Mühe gemacht haben, Paige Marshall im Jahr 2556 zu suchen.
Ich wühle in der Hosentasche und finde einen Zehner. Ich verschlucke die Münze, kein Problem.
Ich finde eine Heftklammer. Auch die geht problemlos runter.
Während die Polizisten sich in das rote Tagebuch me i ner Mutter vertiefen, sehe ich mich
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