Der Sohn des Bannsängers
»Wasch haben wir denn da, Reischender?«
»Um des Allschwänzigen willen, hören Sie nicht darauf! Beachten Sie es gar nicht. Tun Sie so, als sei es gar nicht vorhanden.« Die Moschusratte meinte, der Nasenbär werden jeden Moment überschnappen.
»Das kannst du nicht tun.« Das Leuchten innerhalb des Kastens pulsierte. »Du kannst die Wahrheit nicht ignorieren.«
»Die Wahrheit?« Die Moschusratte wurde schnell nüchtern.
»Wasch scholl dasch heischen, die Wahrheit?«
»Es merkt, wenn man lügt, und verkündet die Wahrheit.« Der Nasenbär schluchzte fast. »Immer. Ob man die Wahrheit nun hören will oder nicht.« Wasser rann an der langen Schnauze entlang und tropfte von der schwarzen Nase. »Das ist alles, was es tut, es verkündet die verdammte Wahrheit.«
Die Moschusratte nickte. »Dann begreife isch Ihren beklagenschwerten Schuschtand, mein Herr.«
»Können Sie mir helfen?« flüsterte tonlos der Nasenbär.
»Isch nischt. Diesche Angelegenheit erfordert gröschere Fähigkeiten, alsch isch jemalsch bescheschen habe. Aber isch kenne da jemanden. Einen Hexer mit bedeutenden Fähigkeiten und groscher Erfahrung. Er wohnt schüdlisch von hier, ein Schildkröterisch namensch...«
»NEIN!« schrie der Nasenbär mit plötzlich wieder kräftiger Stimme. »Zu dem kann ich nicht gehen, obwohl ich es beinahe getan hätte. Ich habe das Ding nämlich von ihm gestohlen, wissen Sie.«
Abermals nickte die Moschusratte. »Schind Schie sischer, dasch er keinen Fluch auf Schie geladen hat? Nach allem, wasch isch über ihn gehört habe, kann isch nischt glauben, dasch diescher Clodschahamp scho törischt wäre, schisch mit etwasch scho Gefährlischem abschugeben.«
»Nun, er hat es getan. Ich habe es ihm gestohlen.« Chamungs Tonfall nahm wieder ein bißchen (aber nur ein kleines bißchen) seiner alten Arroganz an.
»Ah. Dann ischt Ihr gegenwärtiger Schuschtand alscho Kräften zu verdanken, die er Ihnen nachgeschandt hat?«
»Nein«, murmelte der Nasenbär kläglich. »Schuld daran ist nur dieses verdammte Gerät. Mir fehlen die nötigen Fähigkeiten, damit fertig zu werden. Ich kenne auch niemanden, der sie hätte.«
»Vielleischt schollten Schie meinen Laden jetscht verlaschen.« Die Moschusratte näherte schich verstohlen dem Vorhang. »Wenn der grosche Clodschahamp solsche Angscht vor dem Ding hat, dasch er esch sisch klauen lascht, dann überschteigt esch meine beschränkten Fähigkeiten bei weitem.«
»Sie sind meine letzte Hoffnung.« Chamung bettelte wieder.
»So kann ich nicht weiterleben. Ich habe versucht, es loszuwerden, wollte es sogar in eine tiefe Schlucht werfen. Es folgt mir überall hin; beim Schlafen, Essen, bei allem.«
»Wenn man sich der Wahrheit erst einmal verbunden hat«, erklärte der Kasten, »wird man sie so schnell nicht wieder los.«
»Sie sehen ja, was aus mir, dem großen Chamung, König der Diebe, geworden ist.«
»Schie schind wirklisch in einer schlimmen Verfaschung.« Die Moschusratte unterbrach ihren Rückzug.
»Das stimmt«, spottete der Kasten.
»Vielleicht, bloß vielleicht, gibt es doch einen Ausweg.« Der Ladenbesitzer betrachtete nachdenklich das Wahre.
In Chamungs Augen flackerte ein Lebenslichtlein auf.
»Einverstanden! Ich bin zu allem bereit.«
»Man munkelt da von einer Paschage. Von einer Möglischkeit, zwischen unscherer und einer anderen Welt hin und her schu reischen. Gerüschte, Geschwätz, Hörenschagen. Wenn Schie diesche Paschage betreten und diesche Höllenmaschine auf der anderen Scheite laschen könnten...«
»Ja, ja?« drängte ihn der Nasenbär.
»Es schtimmt, die Wahrheit kann man nischt abschütteln. Aber manschmal kann man schie weggeben.«
Chamung wandte sich heftig an das Große Wahre. »Na? Hat der kleine Fettwanst die Wahrheit gesagt?«
»Das hat er«, gab der Kasten widerwillig zu.
Nachdem der Nasenbär ihm lebenslange hingebungsvolle Knechtschaft versprochen hatte (ein Abkommen, das die Moschusratte umsichtigerweise vom Wahren bestätigen ließ), stellte der kleine (sozusagen im Ruhestand befindliche) Hexer eine Expedition zusammen, die er über den Tailaroam nach Süden führte, bis jenseits des Regionssees und die Morgel- Sümpfe. Dort gelang es ihnen nach einer langen und höchst be- schwerlichen Reise, das Große Wahre in den Tiefen einer gewissen Höhle loszuwerden.
Viele Tage verstrichen, während sie ihren Weg mühsam zurück verfolgten, bis der Nasenbär überzeugt war, daß der Fluch der Wahrheit von ihm genommen war, und
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