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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Nerven gehen will. Ich hab’s kapiert, okay?«
    »Was kapiert?«
    »Alles. Es ist mir am Flughafen klar geworden.«
    »Ich verstehe nur Bahnhof.«
    »Na ja, dass du nicht mit mir zusammenziehen willst. Und dass du eigentlich nicht mal mit mir zusammen sein willst.«
    »Aber ….«
    »Schon gut, wir müssen das nicht vertiefen. Wenn du zurückkommst, bin ich weg, okay?«
    »Gabe«, ruft sie in Panik, »das verstehst du völlig falsch. Aber total. Ich will mit dir zusammen sein, es gibt nichts, das ich mir mehr wünsche! Und ich würde auch liebend gern mit dir zusammenziehen. Das Problem ist nur, ich …« Und schon ist auch die alte Beklemmung wieder da, die ihr förmlich die Luft abdrückt. »Also am Flughafen … da konnte ich doch gar nicht … sehen, was du geschrieben hast … Ich habe nämlich Schwierigkeiten mit dem …« Auch wenn sie es versucht, diesmal kann sie die Angelegenheit nicht mit dem Verweis auf ihre Schusseligkeit weglachen. »Vielleicht brauche ich eine Brille oder so was …«
    Darauf ist Stille in der Leitung. Zwischen ihnen breitet sich ein Ozean des Schweigens aus, der von Sekunde zu Sekunde schwerer zu überwinden ist.
    »Eine Brille«, erwidert er trocken.
    »Glaub mir, ich will doch mit dir zusammen sein«, sagt sie. »Es ist nur so, ich …« Sie windet sich so, dass die Lichter von Claddaghduff vor ihren Augen verschwimmen. Allein der Gedanke, ihm die Wahrheit zu sagen, kostet sie körperliche Anstrengung. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen, spannt die Schultern an – für den Befreiungsschlag. »Okay, ich sag mal so, ich habe gewisse Schwierigkeiten mit dem Lesen. Also eine Leseschwäche. So.«
    Einen Moment lang glaubt sie selber nicht, was sie gerade gesagt hat. Es erscheint ihr ungeheuer, dass diese Wörter nun in der Welt sind, auch wenn sie zunächst nur im beengten Raum einer Telefonzelle herumschwirren. Sie will die Tür aufmachen, damit sie endlich hinauskönnen wie Bienen aus einem Bienenstock. Leseschwäche! Gleichzeitig hat sie Angst, dass sie später alles noch einmal sagen muss, weil die Uhr tickt und der Apparat ihr letztes Geld frisst – und Gabe nicht antwortet. Hat er überhaupt mitgekriegt, was sie gesagt hat?
    »Hmm«, sagt Gabe dann. »Eine Leseschwäche, okaaay.« Er formuliert es so langsam und sorgfältig, als seien sie in einem Diktat. »Ach, weißt du, mein Großvater hatte auch seine Probleme mit dem geschriebenen Wort.«
    Aoife atmet tief durch. Hat sie richtig gehört? Geschriebe nes Wort? Sie liebt ihn allein für diesen Ausdruck, denn es zeigt ihr, dass er unterscheiden kann. Wörter kommen nämlich in so vielen Erscheinungsformen vor, so vielen Verkleidungen, und nur bei einer, nämlich der verdammten geschrie benen, kommt sie ins Stolpern, weil sich die Buchstaben in ihrem Kopf heillos verheddern. Alle anderen bewältigt sie spielend.
    »Wirklich?«
    »Ja. Und er hat es sein ganzes Leben lang verheimlicht. Immer so getan, als wäre es nicht so. Hatte einen ganzen Vorrat an Ausreden, nur damit es keiner merkt. Er sagte zum Beispiel immer, er könne nur kyrillische Buchstaben lesen. Oder dass er seine Brille verlegt hätte. Oder seine berühmten Kopfschmerzen. Wenn er seine Kopfschmerzen hatte, musste ich ihm immer laut aus der Zeitung vorlesen. Nichts davon stimmte. Uns allen war klar, dass er bloß nicht lesen konnte.«
    Die betonte Leichtigkeit, mit der Gabe von seinem Großvater berichtet, überträgt sich auf Aoife und hat etwas Befreiendes. Als habe jemand die Fesseln an ihren Flügeln gelöst, Flügel, die sie zum ersten Mal spannen kann.
    »Wann kommst du zurück?, fragt er dann. »Du fehlst mir. Und nicht nur mir. Auch die Ratten, Schaben und die anderen nachtaktiven Bewohner in dieser verkommenen Mietskaserne vermissen dich sehr.«
    »Bald«, sagt Aoife und blickt hinüber zu Omey Island.
    »Versprochen?«
    »Versprochen«, sagt sie, und das Wort schlägt sich als Hauch an der Scheibe nieder. »Aber weißt du was?«
    »Was?«
    »Warum kommst du nicht her?«
    »Her?«
    »Ja, nach Irland. Hier nach Omey Island. Ich wünschte, du könntest es sehen. Es ist so schön. Unsere Familie besitzt hier ein Haus. Hier könnten wir erst einmal wohnen, du und ich, und die Sache aussitzen.«
    Sie hört, wie er schluckt und den Hörer anders greift. »Puh, ja, vielleicht. Aber ich schätze, es ist ein bisschen anders als Manhattan, oder?«
    Sie lacht. »Der Unterschied könnte nicht krasser sein, so viel kann ich dir sagen. Es ist zwar auch eine Insel wie

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