Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
verabschiedet er sich von allen, die in der Küche durcheinanderplärren. Punkt Viertel vor sieben knallt er die Tür ins Schloss, unbeeindruckt von allem, was sonst noch los ist. Ob Michael Francis wieder nicht aus dem Bett zu kriegen ist, ob Aoife wieder wegen irgendwas ausrastet oder ob Monica versucht, die Zubereitung des Frühstücksspecks an sich zu reißen. Alles nicht sein Problem, war es nie. Viertel vor sieben und er ist aus der Tür und hat damit nichts mehr am Hut.
Ihr ist in letzter Zeit eine gewisse Rastlosigkeit an ihm aufgefallen, vielleicht ein verkümmerter Freiheitsdrang. Nur raus hier, raus in die Welt. Jede Minute wird er zum Zeitungskiosk aufbrechen.
Und während eine Hand prophylaktisch ihre böse Hüfte stützt, angelt sie sich mit dem Fuß den Stuhl unter dem Tisch, worauf Robert sagt: »Ich geh nur mal kurz an die Ecke, die Zeitung holen.«
»Tu das«, sagt sie, ohne aufzublicken. »Bis gleich.«
Gretta lässt sich auf den Stuhl sinken. Robert hat bereits den Tisch gedeckt, für ihr Frühstück ist alles bereitet: ein Teller, ein Messer, eine Porridgeschale mit Löffel, ein Stück Butter, ein Glas Marmelade. Es sind diese kleinen Dinge, die einem Menschen sagen, dass er geliebt wird. Was in ihrem Alter eher selten ist, denkt sie, als sie die Zuckerdose auf die andere Seite schiebt. Die meisten aus ihrem Bekanntenkreis fühlen sich gar nicht mehr wahrgenommen, sie gehören zum Inventar wie ein altes Möbelstück, wertgeschätzt werden sie nicht. Ganz anders bei ihr. Robert will immer ganz genau wissen, wo sie gerade ist. Er mag es gar nicht, wenn sie das Haus verlässt, ohne ihm Bescheid zu sagen, und wird nervös, wenn sie ihm doch einmal unbemerkt entschlüpft. Das geht so weit, dass er nacheinander die Kinder anruft und fragt, ob sie vielleicht etwas wissen. Anfangs haben sie diese Kontrollen wahnsinnig gemacht, sie brauchte ein bisschen Freiraum, ein bisschen Unsichtbarkeit. Inzwischen hat sie sich daran gewöhnt.
Gretta säbelt sich eine Scheibe Brot ab und beschmiert sie dick mit Butter. Wenn sie nicht regelmäßig isst, fühlt sie sich immer so kraftlos. Vor Jahren hat sie einem Arzt davon berichtet, denn sie hatte es schwarz auf weiß in der Sonntagszeitung gelesen, es konnte nur Unterzucker sein. Es wäre eine Erklärung gewesen für ihren permanenten Heißhunger, oder nicht? Doch der Arzt blickte nicht einmal von seinem Rezeptblock auf und reichte ihr dann lediglich einen Diätplan: »Pech gehabt, Mrs Riordan, am Unterzucker liegt es gewiss nicht.«
Den Kindern jedenfalls schmeckte ihr Brot, und sie buk auch immer einen Extralaib, eingeschlagen in ein Küchenhandtuch, wenn sie sie besuchen ging. Sie hatte sich immer Mühe gegeben, damit die Kinder, obwohl in London gebo ren, ihre alte Heimat Irland nicht ganz vergaßen. Die bei den Mädchen zum Beispiel gingen regelmäßig zu einer irischen Volkstanzgruppe, sie mussten dazu sogar den Bus in die Innenstadt nehmen, nach Camden Town. In einer Keksdose nahm Gretta Honigkuchen oder Rosinenstuten mit, damit die anderen Mütter, Vertriebene wie sie selbst, Vertriebene aus Cork, Dublin oder Donegal, wenigstens nicht zu hungern brauchten. Unterdessen schauten sie zu, wie ihre Töchter zum Klang der Fiedel auf und nieder wippten und steppten. Schon nach der dritten Unterrichtsstunde sagte die Tanzlehrerin, dass Monica riesengroßes Talent, ja das Zeug zur Meisterin hätte. Weiter sagte die Tanzlehrerin, sie hätte sich noch nie getäuscht, sie habe ein Auge für ein Ausnahmetalent. Doch Monica wollte weder Meisterin werden noch an Tanzwettbewerben teilnehmen. »Ich hasse diesen Scheiß«, flüsterte sie. »Ich hasse das, wenn alle einen angucken und die Kampfrichter dauernd so Sachen aufschreiben.« Sie war schon immer schüchtern gewesen, so ängstlich. Sobald es darum ging, ins Rampenlicht zu treten, stellte sie ihres lieber unter den Scheffel. War sie, Gretta, daran schuld, oder wurden Kinder schon so geboren? Schwer zu sagen. Auf jeden Fall musste sie Monica irgendwann aus dem Volkstanzunterricht nehmen, was wirklich ein Jammer war.
Gretta bestand auch auf regelmäßigem Kirchgang mit Kommunion. Aber wenn man die Kinder jetzt so sah, konnte man nur sagen: Genutzt hatte es wenig. Und in den Sommerferien waren sie immer nach Irland gefahren, erst zu Grettas Mutter, dann in das Cottage auf Omey Island, selbst dann noch, als sie älter waren und die Fahrt dorthin nur noch nervig fanden. Wie aufgeregt Aoife immer war, wenn sich das
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