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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Highbury, London
    D ie Hitze, die Hitze. Sie weckt Gretta schon im Morgengrauen, treibt sie erst aus dem Bett und dann die Treppe hinunter. Die Hitze hat sich im Haus eingenistet wie lästiger Besuch, sie lagert fett in den Fluren, streicht träge um Vorhänge herum, fläzt sich auf Sofas und Stühlen. Die Luft in der Küche steht nicht nur, sie hat den Aggregatzustand gewechselt, ist Feststoff geworden, der Gretta niederdrückt, seitlich gegen die Tischkante.
    Nur jemand wie sie käme bei dieser Hitze auf die Idee, Brot zu backen.
    Doch Gretta reißt völlig unbeirrt die Ofenklappe auf und starrt mit verkniffenem Gesicht in das feurige Maul, während sie die Kastenform herausholt. Sie ist noch im Nachthemd, hat Lockenwickler im Haar. Sie tritt zwei Schritte zurück und lässt den dampfenden Brotlaib auf das Abtropfgestell in der Spüle gleiten, und wie immer erinnert sie sein schieres Gewicht an ein Neugeborenes. Solch ein kompaktes, feuchtwarmes Bündel.
    In ihrer gesamten Ehe hat sie es so gehalten, hat dreimal die Woche ihr Sodabrot gebacken, da wird sie sich von einer läppischen Hitzewelle nicht abhalten lassen. Natürlich bekommt man in London keine echte Buttermilch, deshalb muss sie sich mit einer Mischung aus halb Milch und halb Joghurt behelfen. Eine Frau beim Gottesdienst hat ihr den Trick verraten, der bis zu einem bestimmten Grad sogar funktioniert, obwohl echte Buttermilch durch nichts zu ersetzen ist.
    Auf das Klappern hinter ihr auf dem Linoleum sagt sie: »Bist du das? Brot ist fertig.«
    »Das wird wieder ein …«, fängt er an, bringt den Satz aber nicht zu Ende.
    Gretta wartet einen Moment, ehe sie sich umdreht. Das Tablett in den Händen, steht Robert zwischen Spüle und Küchentisch und starrt irgendetwas an. Vielleicht das stumpfe Chrom des Wasserhahns, vielleicht die Abtropffläche der Spüle, das angerostete Emailbecken. Alles hier ist so vertraut, dass es manchmal schwerfällt, die Dinge auseinanderzuhalten. Wie bei Musik, die man in- und auswendig kennt – da hört man irgendwann auch keine einzelnen Töne mehr.
    »Was wird wieder ein?«, fragt sie zurück, bekommt aber keine Antwort. Sie geht zu ihm und legt ihm eine Hand auf die Schulter. »Alles in Ordnung mit dir?« Seit einiger Zeit bemerkt sie an ihm die ersten Zeichen des Alters. Manchmal hat er diesen gebeugten Rücken, manchmal auch diesen leicht verwirrten Ausdruck im Gesicht.
    »Was ist?« Er wendet den Kopf und sieht sie an, als hätte ihn die Berührung aus einem anderen Zustand gerissen. »Nein, was ich sagen wollte: Das wird wieder ein heißer Tag heute.«
    Dann, wie nicht anders zu erwarten, entzieht er sich ihr und tritt an das Thermometer, das mit einem Saugnapf außen am Küchenfenster hängt.
    Die Hitzewelle geht mittlerweile in den dritten Monat, seit anderthalb Wochen schon haben sie Tagestemperaturen von an die fünfunddreißig Grad. Wochenlang, monatelang hat es nicht mehr geregnet. Kein Wölkchen am Himmel. Wo waren die Wolken, die sonst immer so majestätisch über diese Dächer hinwegzogen?
    Mit einem metallischen Klack und wie magnetisch angezogen prallt ein schwarzes Pünktchen gegen die Fensterscheibe. Robert, der immer noch das Thermometer inspiziert, zuckt zusammen. Das Insekt hat eine geriffelte Unterseite und sechs abstehende Beine. Etwas daneben landet bereits das zweite, dann das dritte, das vierte.
    »Die verdammten Biester sind wieder da«, brummelt er.
    Gretta tritt ebenfalls ans Fenster, setzt sich dabei die Brille auf. Wie gelähmt starren sie auf das Phänomen.
    Bereits in den vergangenen Wochen haben Riesen schwärme von roten Blattläusen die Stadt heimgesucht. In unvorstellbaren Massen hängen sie in den Bäumen, kleistern Windschutzscheiben voll, setzen sich in die Haare von Schulkindern und werden leicht verschluckt, etwa von denen, die trotz der Hitze so blöd sind, aufs Rad zu steigen. Und wer sich in den Garten legen will, dem kleben sie schon nach Minuten auf der eingecremten Haut.
    Aber diesmal lassen die Blattläuse von der Fensterscheibe ab. Simultan, wie auf ein geheimes Kommando, lösen sich ihre Füße von der Glasfläche, und sie alle entschwinden in den azurblauen Himmel.
    Vereint atmen Gretta und Robert auf.
    »Da gehen sie hin«, sagt Robert.
    Sie sieht, wie er auf die Küchenuhr blickt. Viertel vor sieben. Seit mehr als drei Jahrzehnten geht er um Punkt Viertel vor sieben aus dem Haus. Immer nimmt er zuerst den Mantel vom Garderobenhaken an der Tür, dann die Tasche, dann

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