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Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Derbort
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meldete.
    „Werner hier“, meldete sich der Ältere. „Bitte kommen Sie schnell zum Friedhof. Hier ist etwas, was Sie sich unbedingt ansehen sollten.“
    Der Pfarrer grunzte so etwas wie eine Zustimmung und legte auf. Es dauerte dennoch einige Minuten, bis er gemessenen Schrittes den Friedhof betrat.
    „Ich hoffe, es ist wirklich so wichtig, wie ihr tut“, begrüßte der Pfarrer die beiden Totengräber unfreundlich, verzichtete jedoch auf jedes weitere Wort, als er bemerkte, in welchem Zustand sich Kurt befand.
    „Was ist passiert?“, fragte der Priester stattdessen.
    Wortlos bedeutete Werner, ihm zu folgen und führte ihn zum ersten Grab.
    „Allmächtiger im Himmel!“, rief Pfarrer Schuster entsetzt aus, als er die erste Leiche sah. „Habt ihr die falschen Gräber ausgehoben?“
    Werner deutete auf den Grabstein, den Kurt bearbeitet hatte, um das Todesdatum freizulegen. Jedes weitere Wort erübrigte sich.
    Mit fahrigen Fingern fuhr Pfarrer Schuster nervös durch sein Gesicht.
    „Ist ... ist das die einzige Leiche, die ... die so aussieht?“
    Werner deutete auf das zweite ausgehobene Grab.
    „Nein“, sagte er nur.
    „Allmächtiger ...“ murmelte der Pfarrer erschüttert. „Das habe ich noch nie erlebt.“
    „Glauben Sie mir“, entgegnete Werner, „wir haben auch etwas ganz anderes erwartet. Nämlich Knochen und sonst gar nichts.“
    „Ihre Blasphemie ist gänzlich unangebracht!“, fuhr der Priester auf, beruhigte sich aber wieder sofort. Besorgt blickte er Kurt an, der immer noch wie ein Häufchen Elend auf der Bank saß.
    „Was ist mit ihm?“, fragte er.
    „Der sollte so schnell wie möglich weg von hier“, entgegnete Werner. „Der ist runter mit den Nerven und der Friedhof hier ist bestimmt der letzte Ort, der ihn wieder beruhigt.“
    Der Pfarrer blickte Kurt an und nickte.
    „Bringen wir ihn ins Pfarrhaus.“
    „Und die Gräber?“, erkundigte sich Werner.
    „Darum kümmern wir uns später“, entschied der Pfarrer. „Sie haben Recht – Kurt muss weg von hier.“
    Werner hob Kurt vorsichtig von der Bank hoch und führte ihn vom Friedhof in das Pfarrhaus.
    Pfarrer Schuster ging vor und öffnete die Tür. Es dauerte eine Weile, bis Werner seinen völlig desorientierten Kollegen durch die Tür in das alte Gebäude geführt hatte.
    Wie schon so oft kamen Werner die zwei Schritte durch die Tür in das Pfarrhaus wie eine Zeitreise vor.
    Werner war in etwa gleich alt wie der Pfarrer – so um die sechzig. Während Werner innerhalb kürzester Zeit jeden neuen technischen Firlefanz sein Eigen nannte, lehnte der Pfarrer rundweg alles Technische, das nicht absolut nötig war, ab.
    Das Telefon, ein altes schwarzes Wandgerät, hing im Flur. Es war das erste Telefon, das in dieses Pfarrhaus installiert wurde und es wurde seither nie ersetzt. Das Neueste daran war die Schnur zum Hörer, die von einem Telefontechniker vor fünfzehn Jahren erneuert wurde.
    Pfarrer Schuster führte seine Gäste ins Wohnzimmer. Die Möbel stammten ausnahmslos aus den fünfziger Jahren. Ein altes Röhrenradio, das auf dem wuchtigen Sideboard stand, war das einzige Relikt moderner Kommunikationstechnologie.
    Werner trug mehr Hightech mit sich herum als in dem gesamten Pfarrhaus versammelt war. Dennoch strahlten die Räume eine beruhigende Wärme aus, die sich indessen deutlich auf Kurt bemerkbar machte. Sein Zittern ließ nach und sein Blick klärte sich.
    Pfarrer Schuster trommelte inzwischen Irmhild, seine Haushälterin, aus dem Bett und trug ihr auf, ihm und seinen Gästen Tee zu bereiten.
    Erst dann gesellte er sich zu seinen Totengräbern. Kurt hatte sich etwas beruhigt. Dennoch war er schweißgebadet und sein Zittern hatte er immer noch nicht unter Kontrolle.
    Pfarrer Schuster ging zum Sideboard, öffnete eine der wuchtigen Türen und nahm einen Aschenbecher heraus. Diesen stellte er vor den beiden Männern auf den Tisch.
    „Ich nehme an, Sie möchten rauchen“, sagte er. „Und ich werde jetzt auf jede weitere Predigt über das Rauchen verzichten.“
    „Danke“, sagte Werner und nahm auch gleich seine Zigaretten aus der Tasche. Er bot Kurt eine an. Dieser versuchte eine Zigarette aus der Schachtel zu ziehen, doch immer noch zitterte er so stark, dass es ihm schier unmöglich war. Werner half ihm, steckte ihm den Glimmstängel in den Mund und gab ihm Feuer.
    „Was hier passiert ist“, sagte Pfarrer Schuster nach einer Pause, „ist furchtbar. Diese Leichen sind in keinem Fall älter als wenige Monate.

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