Seidendrachen
Es ist ein Junge und kerngesund“, flüsterte die Hebamme durch einen Spalt dem auf dem Gang wartenden Priester zu und wartete auf dessen Anweisungen. Ihr Flüstern hallte in den leeren nächtlichen Gängen, wie das Zischen des Windes wider, als wollten die Mauern das Geheimnis untereinander weitergeben. Dabei hatte man ihr Schweigen mit ein paar Golddukaten erkauft. Pater Clement hatte die Hebamme aus seinem Land mitgebracht, nur für diese eine Geburt, damit der Herzog keinerlei Klatsch zu befürchten hatte. Jetzt rieb er sich bei dieser Nachricht zufrieden die Hände. Ein Mädchen hätte ihm und seinem Kloster niemals einen solchen Vorteil eingebracht.
„Dann möge der Herzog sein Wort halten. Macht das Kind reisefertig. Der Mutter sagt, es sei eine Totgeburt gewesen. Sie soll nichts von seinem Verbleib erfahren“, murmelte er der Hebamme als Antwort zu und eilte davon.
„Das ist wenig christlich, aber ich werde tun, wie Ihr mir geheißen habt“, murmelte die Hebamme, selbst noch eine recht junge Frau in einfacher Bauernkleidung, und schloss den Türspalt wieder.
„Dafür wurdet Ihr gut bezahlt“, wandte der Pater ein, doch er sprach bereits mit der Holzpforte. Er musste den Herzog informieren!
Das Huschen der Sandalen von Pater Clement war eine ungewohnte Abwechslung zu dem Geräusch schwerer Schritte von Männern in Rüstung, die sonst durch diese Gänge eilten. Einzelne Fackeln erhellten den Weg des Geistlichen zu dieser späten Stunde. Aber er wusste, er wurde erwartet.
Als Beichtvater des Herzogs von Oranien war ihm der Zutritt zum Gemach des Herrschers jederzeit gestattet. Die beiden Wachposten zu beiden Seiten des Portals rührten sich nicht. Er klopfte leise und betrat dann zögernd das in Kerzenlicht getauchte Zimmer. Der grauhaarige Landesfürst war zu dieser späten Stunde noch hellwach und voll bekleidet. Er hieß Pater Clement willkommen und bat ungeduldig um dessen Bericht. Als er von der Geburt eines Sohnes erfuhr, wandte er sich kurz ab, knetete aufgewühlt seine Hände. Lange Zeit war ihm der Kinderwunsch verwehrt gewesen. Jetzt waren es zwei Söhne, für die er zu sorgen hatte. Wäre es ein Mädchen gewesen, so hätte er dieses auf Nimmerwiedersehen in ein Kloster stecken können. Aber ein Sohn bedeutete einen eventuellen Thronfolger für das Herzogtum - in unruhigen Zeiten wie diesen ein kostbares Pfand!
Der Herzog wandte sich wiederum: „Ich werde mein Wort halten. Der Bastard sei Euer, bis ich seiner bedarf. Hier ist der Lohn für seine Pflege und Erziehung. Außerdem werde ich Eurem Kloster die angrenzenden Ländereien überschreiben, wie versprochen“, verkündete er schließlich mit fester Stimme und griff nach einem Lederbeutel voller Goldstücke, die er dem Pater zuwarf. Dieser fing ihn geschickt auf und verbarg ihn rasch unter der schwarzen Kutte. Er verneigte sich voller Ehrerbietung.
„Was ist, wenn Ihr seiner nicht bedürft?“, fragte er mit listigem Blick, als er den Kopf wieder hob. Wilhelm von Oranien blickte ihn mit durchdringenden blauen Augen an. Die Liebelei mit der bildhübschen Hofdame Dorothea von Anrath würde ihn teuer zu stehen kommen.
„Dann behaltet ihn.“ Wilhelm von Oranien unterstrich diese Worte durch eine abwertende Geste. Schnell wurde ihm klar, dass er einen Fehler gemacht hatte. Sein Blut war zu wertvoll, um hinter Klostermauern bei Keuschheit und kargem Essen zu versauern!
Pater Clement verneigte sich erneut und wollte sich diskret zurückziehen, um seine Reisevorbereitungen zu treffen, als ihn die harsche Stimme des Machthabers zurückrief:
„Wartet!“ Der Mönch tat wie ihm geheißen.
„Um nochmal auf Eure Frage zurückzukommen: Sollte ich seiner nicht bedürfen, dann bringt ihn zum Hofe des Königs von Frankreich, unserem Verbündeten. Seiner Abstammung entsprechend möge er einer der Höflinge werden, doch bewahrt jederzeit Stillschweigen über seine Abstammung!“ Die letzten Worte waren als Warnung ausgesprochen worden. „Selbstverständlich, Euer Gnaden! Haben Euer Gnaden vielleicht einen Wunsch in Bezug auf seine Namensgebung?“ Der Herzog überlegte kurz. „Er soll Jarin heißen!“, befahl er dann und winkte seinen Beichtvater hinaus.
Wieder verneigte sich der Pater und machte sich nun endgültig auf den Weg. In dieser Nacht verließ eine zweispännige Reisekutsche die Burg des Herzogs. Darin saßen Pater Clement und die Hebamme. Sie brachten den Beweis für die Untreue des Herzogs gegenüber seiner Ehefrau Cecilie
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