Der Sommermörder
Plastiktüte.
»Die gehört mir«, sagte ich, während ich danach griff.
»Ich habe sie fallen lassen.«
»Die war es«, sagte eine Stimme. »Sie hat ihn aufgehalten.«
»Regelrecht k.o. geschlagen hat sie ihn«, sagte jemand anderer, und eine daneben stehende Frau lachte.
Der Mann starrte zu mir hoch. Ich hatte damit gerechnet, dass er mich hasserfüllt anstarren würde, aber sein Blick wirkte bloß verblüfft.
»Stimmt das?«, fragte die Polizeibeamtin, die mich leicht skeptisch musterte.
»Ja«, antwortete ich vorsichtig. »Aber ich muss jetzt wirklich gehen.«
Ihr männlicher Kollege trat vor. »Vorher brauchen wir noch ein paar Einzelheiten, meine Liebe.«
»Was wollen Sie denn wissen?«
Er zog ein Notizbuch heraus. »Erst mal Ihren Namen und Ihre Adresse.«
Was dann kam, war ziemlich seltsam. Wie sich herausstellte, stand ich stärker unter Schock, als mir bewusst gewesen war. An meinen Namen konnte ich mich immerhin noch erinnern, auch wenn mich selbst das gewisse Mühe kostete, aber meine Adresse wollte mir einfach nicht mehr einfallen, und das, obwohl mir die verdammte Wohnung selbst gehörte und ich schon seit achtzehn Monaten dort wohnte. Ich musste meinen Terminplaner aus der Tasche holen und ihnen die Adresse vorlesen. Dabei zitterte meine Hand so sehr, dass ich die Worte kaum entziffern konnte. Sie müssen mich für verrückt gehalten haben.
2. KAPITEL
ch war auf der Anwesenheitsliste beim Buchstaben E
angelang
I
t: E für Damian Everatt, einem mageren kleinen Jungen mit einer riesigen, auf einer Seite von Klebeband zusammengehaltenen Brille, wachsigen Ohren, einem ängstlichen Mund voller Zahnlücken und aufgeschürften Knien, die daher rührten, dass ihn die anderen Jungs auf dem Spielplatz immer herumschubsten.
»Ja, Miss«, flüsterte er. In dem Moment schob Pauline Douglas den Kopf durch die bereits offene Klassenzimmertür.
»Kann ich Sie kurz sprechen, Zoë?«, fragte sie. Ich stand auf, strich mir nervös das Kleid glatt und ging zu ihr hinüber. Obwohl auf dem Gang angenehmer Durchzug herrschte, lief eine Schweißperle über Paulines sorgfältig gepudertes Gesicht, und ihr grau meliertes Haar, das normalerweise tipptopp saß, klebte ihr feucht an den Schläfen. »Mich hat gerade ein Journalist der Gazette angerufen.«
»Der Gazette ?«
»Ein Lokalblatt. Sie wollen mit Ihnen über Ihre Heldentat sprechen.«
»Wie bitte? Ach, das. Es ist –«
»Der Reporter hat irgendwas von einer Melone erwähnt.«
»Ach ja, wissen Sie –«
»Sie wollen auch einen Fotografen mitschicken. Ruhe!«
Letzteres galt den Kindern, die hinter uns auf dem Boden herumalberten.
»Tut mir Leid, dass die Leute Sie belästigt haben.
Wimmeln Sie sie einfach ab.«
»Ganz im Gegenteil«, entgegnete Pauline in bestimmtem Ton.
»Ich habe mit ihnen vereinbart, dass sie um halb elf, während der Pause, vorbeikommen sollen.«
»Meinen Sie wirklich?« Ich sah sie zweifelnd an.
»Das Ganze könnte eine gute Werbung für uns sein.« Sie warf einen Blick über meine Schulter. »Ist sie das?«
Ich wandte mich zu der großen grün gestreiften Frucht um, die ganz unschuldig auf dem Regal hinter uns thronte.
»Ja, das ist sie.«
»Sie sind offenbar kräftiger, als Sie aussehen. Also dann, bis später.«
Ich setzte mich wieder an meinen Platz und griff nach der Anwesenheitsliste.
»Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja. Kadijah.«
»Ja, Miss.«
Der Journalist war mittleren Alters, ein kleiner, fetter Mann, dem die Haare nicht nur aus den Nasenlöchern, sondern sogar hinten aus dem Hemdkragen quollen. Ich hatte seinen Namen nicht ganz mitbekommen, was insofern ein bisschen peinlich war, weil er mich ständig mit dem Namen ansprach. Bob Irgendwas, glaube ich. Er hatte ein dunkelrotes Gesicht und große Schweißflecken unter den Armen. Während er kleine Stenofetzen in ein abgegriffenes Notizbuch schrieb, rutschte seine plumpe Faust immer wieder am Stift ab. Der Fotograf, der ihn begleitete, sah aus wie siebzehn: Er hatte kurz geschorenes dunkles Haar, einen Ring im Ohr und trug eine so enge Jeans, dass ich jedes Mal, wenn er sich mit seiner Kamera auf den Boden kauerte, Angst bekam, dass sie gleich platzen würde. Während Bob mir seine Fragen stellte, wanderte der Fotograf im Klassenzimmer umher und betrachtete mich durch sein Kameraobjektiv aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Bevor die beiden eingetroffen waren, hatte ich noch schnell mein Haar in Ordnung gebracht und ein wenig Make-up
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