Der Stechlin.
Zauber, schon um einer gewissen Unresidenzlichkeit willen. Ich sehe nichts lieber als die große Markthalle, wenn beispielsweise die Fischtonnen mit fünfhundert Aalen in die Netze gegossen werden. Etwas Unglaubliches von Gezappel.«
»Finde mich ganz darin zurecht und bin auch für Alexanderplatz und Alexanderkaserne samt allem, was dazu gehört. Und so brech’ ich denn auch die Gelegenheit vom Zaun, um nach einem Ihrer früheren Regimentskommandeure zu fragen, dem liebenswürdigen Obersten von Zeuner, den ich noch persönlich gekannt habe. Hier unsre Stechliner Gegend ist nämlich Zeunergegend. Keine Stunde von hier liegt Köpernitz, eine reizende Besitzung, drauf die Zeunersche Familie schon in fridericianischen Tagen ansässig war. Bin oft drüben gewesen (nun freilich schon zwanzig Jahre zurück) und komme noch einmal mit der Frage. Haben Sie den Obersten noch gekannt?«
»Nein, Herr Major. Er war schon fort, als ich zum Regimente kam. Aber ich habe viel von ihm gehört und auch von Köpernitz, weiß aber freilich nicht mehr, in welchem Zusammenhange.«
»Schade, daß Sie nur einen Tag für Stechlin festgesetzt haben, sonst müßten Sie das Gut sehen. Alles ganz eigentümlich und besonders auch ein Grabstein, unter dem eine uralte Dame von beinah neunzig Jahren begraben liegt, eine geborne von Zeuner, die sich in früher Jugend schon mit einem Emigranten am Rheinsberger Hof, mit dem Grafen La Roche-Aymon, vermählt hatte. Merkwürdige Frau, von der ich Ihnen erzähle, wenn ich Sie mal wiedersehe. Nur eins müssen Sie heute schon mit anhören, denn ich glaube, Sie haben den Gustus dafür.«
»Für alles, was Sie erzählen.«
»Keine Schmeicheleien! Aber die Geschichte will ich Ihnen doch als Andenken mitgeben. Andre schenken sich Photographien, was ich, selbst wenn es hübsche Menschen sind (ein Fall, der übrigens selten zutrifft), immer greulich finde.«
»Schenke nie welche.«
»Was meine Gefühle für Sie steigert. Aber die Geschichte: Da war also drüben in Köpernitz diese La Roche-Aymon, und weil sie noch die Prinz-Heinrich-Tage gesehen und während derselben eine Rolle gespielt hatte, so zählte sie zu den besonderen Lieblingen Friedrich Wilhelms IV. Und als nun - sagen wir ums Jahr fünfzig - der Zufall es fügte, daß dem zur Jagd hier erschienenen König das Köpernitzer Frühstück, ganz besonders aber eine Blut- und Zungenwurst, über die Maßen gut geschmeckt hatte, so wurde dies Veranlassung für die Gräfin, am nächsten Heiligabend eine ganze Kiste voll Würste nach Potsdam hin in die königliche Küche zu liefern. Und das ging so durch Jahre. Da beschloß zuletzt der gute König, sich für all die gute Gabe zu revanchieren, und als wieder Weihnachten war, traf in Köpernitz ein Postpaket ein, Inhalt: eine zierliche kleine Blutwurst. Und zwar war es ein wunderschöner, rundlicher Blutkarneol mit Goldspeilerchen an beiden Seiten und die Speilerchen selbst mit Diamanten besetzt. Und neben diesem Geschenk lag ein Zettelchen: ›Wurst wider Wurst‹.«
»Allerliebst!«
»Mehr als das. Ich persönlich ziehe solchen guten Einfall einer guten Verfassung vor. Der König, glaub’ ich, tat es auch. Und es denken auch heute noch viele so.«
»Gewiß, Herr Major. Es denken auch heute noch viele so, und bei dem Schwankezustand, in dem ich mich leider befinde, sind meine persönlichen Sympathien gelegentlich nicht weitab davon. Aber ich fürchte doch, daß wir mit dieser unsrer Anschauung sehr in der Minorität bleiben.«
»Werden wir. Aber Vernunft ist immer nur bei wenigen. Es wäre das Beste, wenn ein einziger Alter-Fritzen-Verstand die ganze Geschichte regulieren könnte. Freilich braucht ein solcher oberster Wille auch seine Werkzeuge. Die haben wir aber noch in unserm Adel, in unsrer Armee und speziell auch in Ihrem Regiment.«
Während der Alte diesen Trumpf ausspielte, kam Engelke, um ein paar neue Tassen zu präsentieren.
»Nein, nein, Engelke, wir sind schon weiter. Aber stell nur hin… In Ihrem Regiment, sag’ ich, Herr von Czako; schon sein Name bedeutet ein Programm, und dies Programm heißt: Rußland. Heutzutage darf man freilich kaum noch davon reden. Aber das ist Unsinn. Ich sage Ihnen, Hauptmann, das waren Preußens beste Tage, als da bei Potsdam herum die ›russische Kirche‹ und das ›russische Haus‹ gebaut wurden und als es immer hin- und herging zwischen Berlin und Petersburg. Ihr Regiment, Gott sei Dank, unterhält noch was von den alten Beziehungen, und ich freue
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