Der Steppenwolf
Wahrlich, ich hatte keinen Grund, eine Fortsetzung dieses Weges zu wünschen, der mich in immer dünnere Lüfte führte, jenem Rauche in Nietzsches Herbstlied gleich.
Ach ja, ich kannte diese Erlebnisse, diese Wandlungen, die das Schicksal seinen Sorgenkindern, seinen heikelsten Kindern bestimmt hat, allzu gut kannte ich sie. Ich kannte sie, wie ein ehrgeiziger, aber erfolgloser Jäger die Etappen einer Jagdunternehmung, wie ein alter Börsenspieler die Etappen der Spekulation, des Gewinns, des Unsicherwerdens, des Wankens, des Bankerotts kennen mag. Sollte ich all dies nun wirklich nocheinmal durchleben? All diese Qual, all diese irre Not, all diese Einblicke in die Niedrigkeit und Wertlosigkeit des eigenen Ich, all diese furchtbare Angst vor dem Erliegen, all diese Todesfurcht? War es nicht klüger und einfacher, die Wiederholung so vieler Leiden zu verhüten, sich aus dem Staub zu machen? Gewiß, es war einfacher und klüger. Mochte nun das, was in dem Steppenwolfbüchlein über die »Selbstmörder« behauptet wurde, sich so oder anders verhalten, niemand konnte mir das Vergnügen verwehren, mir mit Hilfe von Kohlengas, Rasiermesser oder Pistole die Wiederholung eines Prozesses zu ersparen, dessen bittere Schmerzlichkeit ich nun wahrlich oft und tief genug hatte auskosten müssen. Nein, bei allen Teufeln, es gab keine Macht in der Welt, die von mir verlangen konnte, nochmals eine Selbstbegegnung mit ihren Todesschauern und nochmals eine Neugestaltung, eine neue Inkarnation durchzumachen, deren Ziel und Ende ja nicht Friede und Ruhe war, sondern nur immer neue Selbstvernichtung, immer neue Selbstgestaltung! Mochte der Selbstmord dumm, feig und schäbig, mochte er ein unrühmlicher und schmachvoller Notausgang sein – aus dieser Mühle der Leiden war jeder, auch der schmählichste Ausgang innig zu wünschen, hier gab es kein Theater des Edelmuts und Heroismus mehr, hier war ich vor die einfache Wahl gestellt zwischen einem kleinen, flüchtigen Schmerz und einem unausdenklich brennenden, endlosen Leid. Oft genug in meinem so schwierigen, so verrückten Leben war ich der edle Don Quichotte gewesen, hatte die Ehre dem Behagen und den Heroismus der Vernunft vorgezogen. Genug und Schluß damit!
Der Morgen gähnte schon durch die Scheiben, der bleierne, verdammte Morgen eines Winterregentages, als ich endlich zu Bett kam. Ins Bett nahm ich meinen Entschluß mit. Ganz zu äußerst aber, an der letzten Grenze des Bewußtseins im Augenblick des Einschlafens, blitzte sekundenschnell jene merkwürdige Stelle des Steppenwolfbüchleins vor mir auf, wo von den »Unsterblichen« die Rede war, und damit verband sich die aufzuckende Erinnerung daran, daß ich manche Male und erst noch ganz vor kurzem mich den Unsterblichen nah genug gefühlt hatte, um in einem Takt alter Musik die ganze kühle, helle, hart lächelnde Weisheit der Unsterblichen mitzukosten. Das tauchte auf,glänzte, erlosch, und schwer wie ein Berg legte sich der Schlaf auf meine Stirn.
Gegen Mittag erwacht, fand ich in mir alsbald die geklärte Situation wieder, das kleine Büchlein lag auf dem Nachttisch und mein Gedicht, und freundlich kühl blickte aus dem Wirrsal meines jüngsten Lebens mein Entschluß mich an, über Nacht im Schlafe rund und fest geworden. Eile tat nicht not, mein Todesentschluß war nicht die Laune einer Stunde, er war eine reife, haltbare Frucht, langsam gewachsen und schwer geworden, vom Wind des Schicksals leis geschaukelt, dessen nächster Stoß sie zum Fallen bringen mußte.
Ich besaß in meiner Reiseapotheke ein vorzügliches Mittel, um Schmerzen zu stillen, ein besonders starkes Opiumpräparat, dessen Genuß ich mir nur sehr selten gönnte und oft monatelang vorenthielt; ich nahm dies schwer betäubende Mittel nur dann, wenn körperliche Schmerzen mich bis zur Unerträglichkeit plagten. Zum Selbstmord war es leider nicht geeignet, ich hatte dies vor mehreren Jahren einmal ausprobiert. Da hatte ich in einer Zeit, als wieder einmal Verzweiflung mich umgab, eine hübsche Menge davon geschluckt, genug, um sechs Menschen zu töten, und es hatte mich doch nicht getötet. Ich schlief zwar ein und lag einige Stunden in vollkommener Betäubung, wurde dann aber, zu meiner furchtbaren Enttäuschung, durch heftige Zuckungen des Magens halb erweckt, erbrach, ohne ganz zu mir zu kommen, das ganze Gift und schlief wieder ein, um in der Mitte des nächsten Tages endgültig aufzuwachen, zu einer grauenhaften Nüchternheit, mit verbranntem, leerem
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