Bring mir den Kopf vom Nikolaus - Ein Weihnachtsmaerchen
I ch hatte alles Nötige beisammen, um ein friedvolles Weihnachtsfest zu feiern: Ich hatte ein Dach über dem Kopf, eine kleine Tanne voller Strohsterne und roter Kerzen, und ich war allein. Mehr ging nun wirklich nicht, und dementsprechend befand ich mich in einem Zustand sehr gehobener Stimmun g – auf einer Skala von »Total unzufrieden« über »Sehr zufrieden« bis zum höchsten Zustandspunkt »Honigkuchen« fühlte ich mich unmittelbar vor »Honigkuchen«, und es konnte sich nur noch um eine Stunde handeln, dann würde mir meine Feiertagslaune mit einem Knall um die selig glühenden Ohren fliegen, denn für diesen Zeitpunkt hatte ich meine Bescherung (einen sehr teuren Pullover) vorgesehen, und auch der unterhaltsame Gefährte Fernseher glühte bereits vor.
Die Tatsache, dass es erst kurz zuvor meine Beziehung zu der wunderbaren, unvergleichlichen und liebreichen Bernadette aus der Kurve getragen hatte, sollte mir die Freude an meinem Lieblingsfest nicht vermiesen. Das hatte ich mir jedenfalls fest vorgenommen: Fest wie ein uralter Weihnachtsstollen stand mein Willen, weder an Bernadette noch an ihren neuen Freund zu denken. Diesen neuen »Freund« würde schon noch sein gerechtes Schicksal ereilen, des’ war ich mir sicher. Er sollte mich an diesem Abend der Abende nicht interessieren, dieser »Freund«, dessen Namen »Bommer« ich kurzfristig sogar erfolgreich verdrängte. »Bommer« oder »Bommerlunder« oder wie diese dumme Sau auch heißen mochte: Weihnachten gehörte MIR! Mit »O du fröhliche«, mit Bescherung und mit einem öden Thriller aus den Siebzigern, der meine Weihnachtsstimmung garantiert ins nahezu Unerträgliche steigern würde! Mit oder ohne Bernadette!
Dergestalt summend und in fremde Fenster hineinschauend, die den Blick auf seriöse Pärchen freigaben, fiel mir ein Satz meines Großvaters ein: »Die Frau seines Lebens trifft man in diesem Leben genau nur EIN Mal. Aber das verpasst man meistens, weil man gerade zu breit ist.«
Als ich Bernadette traf, war ich glücklicherweise so gar nicht breit, sondern im Gegenteil stocknüchtern gewesen und bereit, es mit dieser Frau meines Lebens aufzunehmen. Und das hatte sogar geklappt! Jedenfalls am Anfang.
Auch an diesem Abend war ich knochentrocken, wenn man mal von gelegentlichen Weinkrämpfen wegen Bernadette absieht. Aber Hand aufs Herz: Auch wenn ich hier in meiner Zweiraumwohnung mit dem verhuschten Weihnachtsbäumchen hin und wieder weinen musst e – mit Bernadette hätte ich heute nicht tauschen mögen. Einen Weihnachtsabend mit einem verkommenen und todsicher todlangweiligen Bommelmann verbringe n – ja, wer will denn SO WAS! Fast tat sie mir leid, meine Bernadette. Und: Sie würde schon sehen, was sie davon hatte!
Vielleicht muss ich Ihnen einen Überblick geben, was den Ort des Geschehens betrifft. Damit Sie eine plastische Vorstellung bekommen, wo sich was wie abgespielt hat. Daher erfolgt nun zunächst mal ein Grundriss meiner Wohnung. Bitte:
Mein Weihnachtsmenü schmorte bereits in der Mikrowelle, und jeden Moment würde ich mich an diesen Penne Soundso laben. Dann käme der Pullover, dann der Thriller, und kurz vorm Wegnicken würde ich mir derart gepflegt selbst einen bescheren, wie es Bernadette und Bommelbammel weder heute Abend oder sonst je gelingen könnte! Auch des’ war ich mir sicher!
So!
Dan n – während ich noch weinend die heiße Folie von den Penne Sounsdo entfernte, klingelte es an meiner Tür.
Oha.
Vorsichtshalber stellte ich das Greinen ein, denn Bernadette sollte auf keinen Fall sehen, dass ic h – ja, nun, sagen wir: »Zwiebeln geschält« hatte. Und schon gar nicht ihretwegen.
Also tupfte ich meine Augen mit Küchenkrepp ab, setzte mein bestes Weihnachtsgesicht auf und ging zur Tür. Was heißt da »Weihnachtsgesicht « – der schiere Triumph ließ meine schönen braunen Augen blitzen wie einst im Mai.
Um meine Vorfreude a) zu steigern und b) besser verbergen zu können, sah ich zunächst zeitschindend durch den Türspion.
Oha.
Vor meiner Tür stand nicht meine göttinnengleiche Bernadette. Stattdessen äugte mir eine zierliche, braunhaarige Weibsperson entgegen, und in ihrem Schlepptau erkannte ic h – ein Rentier!
Was sollte das jetzt? Wollte mich jemand verhöhnen? Hatte ich Halluzinationen? Oder handelte es sich bei den beiden Geschöpfen um zeitlich und figürlich aus dem Takt geratene Sternsinger?
Während ich noch fassungslos durch den Spion spionierte, klingelte die Weibsperson
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