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Der Steppenwolf

Der Steppenwolf

Titel: Der Steppenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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kurz und hart, und an der Wand hing ein Säbel und ein farbiges Bildnis von Garibaldi, auch ein verwelkter Kranz von einer Vereinsfeier. Für ein Nachthemd hätte ich viel gegeben. Wenigstens war Wasser und ein kleines Handtuch da, ich konnte mich waschen, dann legte ich mich in den Kleidern aufs Bett, ließ das Licht brennen und hatte Zeit zum Nachdenken. Also mit Goethe war ich jetzt in Ordnung. Herrlich, daß er im Traum zu mir gekommen war! Und dieses wunderbare Mädchen – wenn ich doch ihren Namen gewußt hätte! Plötzlich ein Mensch, ein lebendiger Mensch, der die trübe Glasglocke meiner Abgestorbenheit zerschlug und mir die Hand hereinstreckte, eine gute, schöne, warme Hand! Plötzlich wieder Dinge, die mich etwas angingen, an die ich mit Freude, mit Sorge, mit Spannung denken konnte! Plötzlich eine Türe offen, durch die das Leben zu mir hereinkam! Ich konnte vielleicht wieder leben, ich konnte vielleicht wieder ein Mensch werden. Meine Seele, in der Kälte eingeschlafen und nahezu erfroren, atmete wieder, schlug schläfrig mit kleinen schwachen Flügeln. Goethe war bei mir gewesen. Ein Mädchen hatte mich essen, trinken, schlafen geheißen, hatte mir Freundliches erwiesen, hatte mich ausgelacht, hatte mich einen dummen kleinen Jungen genannt. Und sie hatte mir auch, die wunderbare Freundin, von den Heiligen erzählt und mir gezeigt, daß ich sogar in meinen wunderlichsten Verstiegenheiten gar nicht allein und unverstanden und eine krankhafte Ausnahme sei, daß ich Geschwister habe, daß man mich verstehe. Ob ich sie wiedersehen würde? Ja, gewiß, sie war zuverlässig. »Ein Wort ist ein Wort.« Und schon schlief ich wieder, schlief vier, fünf Stunden. Es war zehn Uhr vorüber, als ich aufwachte, in zerknitterten Kleidern, zerschlagen, müde, die Erinnerung an irgend etwas Gräßlichesvon gestern im Kopf, aber lebendig, hoffnungsvoll, voll guter Gedanken. Bei der Heimkehr in meine Wohnung empfand ich nichts mehr von den Schrecken, die diese Heimkehr gestern für mich gehabt hatte.
    Auf der Treppe, oberhalb der Araukarie, traf ich mit der »Tante« zusammen, meiner Vermieterin, die ich selten zu Gesicht bekam, deren freundliches Wesen mir aber sehr gefiel. Die Begegnung war mir nicht angenehm, ich war immerhin etwas verwahrlost und übernächtig, nicht gekämmt und nicht rasiert. Ich grüßte und wollte vorübergehen. Sonst respektierte sie mein Verlangen nach Alleinbleiben und Nichtbeachtetwerden stets, heut aber schien in der Tat zwischen mir und der Umwelt ein Schleier zerrissen, eine Schranke gefallen zu sein – sie lachte und blieb stehen.
    »Sie haben gebummelt, Herr Haller, Sie waren ja heut nacht gar nicht im Bett. Sie werden schön müde sein!«
    »Ja«, sagte ich und mußte auch lachen, »es ging heut nacht etwas lebhaft zu, und weil ich den Stil Ihres Hauses nicht stören wollte, schlief ich in einem Hotel. Mein Respekt vor der Ruhe und Achtbarkeit Ihres Hauses ist groß, manchmal komme ich mir darin sehr wie ein Fremdkörper vor.«
    »Spotten Sie nicht, Herr Haller!«
    »O, ich spotte bloß über mich selber.«
    »Eben das sollten Sie nicht tun. Sie sollen sich in meinem Haus nicht als ›Fremdkörper‹ fühlen. Sie sollen leben, wie es Ihnen gefällt, und treiben, was Sie mögen. Ich habe schon manche sehr, sehr achtbare Mieter gehabt, Juwelen an Achtbarkeit, aber keiner war ruhiger und hat uns weniger gestört als Sie. Und jetzt – wollen Sie einen Tee haben?«
    Ich widerstand nicht. In ihrem Salon mit den schönen Großväterbildern und Großvätermöbeln bekam ich Tee vorgesetzt, und wir schwatzten ein wenig, die freundliche Frau erfuhr, ohne eigentlich zu fragen, dies und jenes aus meinem Leben und meinen Gedanken und hörte zu mit der Mischung von Achtung und mütterlichem Nicht-ganz-ernst-Nehmen, welche kluge Frauen für die Verschrobenheiten der Männer haben. Es war auch von ihrem Neffen die Rede, und sie zeigte mir in einem Nebenzimmer dessen neueste Feierabendarbeit, einen Radioapparat. Da saß der fleißige junge Mensch an seinen Abenden und stocherteeine solche Maschine zusammen, hingerissen von der Idee der Drahtlosigkeit, anbetend auf frommen Knien vor dem Gott der Technik, welcher es fertiggebracht hat, nach Jahrtausenden Dinge zu entdecken und höchst unvollkommen darzustellen, welche jeder Denker schon immer gewußt und klüger benutzt hat. Wir sprachen darüber, denn die Tante neigt ein klein wenig zur Frömmigkeit, und religiöse Gespräche sind ihr nicht unlieb. Ich

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