Der Steppenwolf
sahen uns den brennenden Haufen an. Er war sehr rasch ausgebrannt, wir hatten inzwischen aus jungem Holz Hebebäume gemacht und lüpften ihn beiseite und überden Straßenrand in den Abgrund, daß es lang in den Gebüschen knackste. Zwei von den Toten waren beim Drehen des Wagens herausgefallen und lagen da, die Kleider zum Teil verbrannt. Einer hatte den Rock noch ziemlich wohlerhalten, ich untersuchte seine Taschen, ob wir fänden, wer er gewesen sei. Eine Ledermappe kam zum Vorschein, darin waren Visitenkarten. Ich nahm eine und las darauf die Worte: »Tat twam asi.«
»Sehr witzig«, sagte Gustav. »Es ist aber in der Tat gleichgültig, wie die Leute heißen, die wir da umbringen. Sie sind arme Teufel wie wir, auf die Namen kommt es nicht an. Diese Welt muß kaputtgehen und wir mit. Sie zehn Minuten unter Wasser zu setzen, wäre die schmerzloseste Lösung. Na, an die Arbeit!« Wir warfen die Toten dem Wagen nach. Schon tutete ein neues Auto heran. Das schossen wir gleich von der Straße aus zusammen. Es kreiselte toll betrunken eine Strecke weiter, stürzte dann und blieb keuchend liegen, ein Insasse blieb still im Innern sitzen, ein hübsches junges Mädchen aber stieg unverletzt, wenn auch bleich und heftig zitternd, heraus. Freundlich begrüßten wir sie und boten unsre Dienste an. Sie war allzusehr erschrocken, konnte nicht sprechen und starrte uns eine Weile wie irrsinnig an.
»Na, sehen wir erst mal nach dem alten Herrn«, sagte Gustav und wandte sich dem Passagier zu, der noch immer hinter dem toten Chauffeur im Sitze hing. Es war ein Herr mit kurzen grauen Haaren, er hatte die klugen hellgrauen Augen offen, schien aber tüchtig verletzt zu sein, wenigstens floß ihm Blut aus dem Munde, und den Hals hielt er unheimlich schief und steif. »Erlauben Sie, alter Herr, mein Name ist Gustav. Wir haben uns gestattet, Ihren Chauffeur zu erschießen. Dürfen wir fragen, mit wem wir die Ehre haben?«
Der Alte blickte kühl und traurig aus den kleinen Grauaugen. »Ich bin der Oberstaatsanwalt Loering«, sagte er langsam. »Sie haben nicht bloß meinen armen Chauffeur umgebracht, sondern auch mich, ich spüre, es geht zu Ende. Warum haben Sie denn auf uns geschossen?«
»Wegen zu schnellen Fahrens.«
»Wir sind mit normaler Geschwindigkeit gefahren.«
»Was gestern normal war, ist es heute nicht mehr, Herr Oberstaatsanwalt. Wir sind heute der Meinung, es sei jegliche Geschwindigkeit,mit welcher ein Auto fahren möge, zu groß. Wir machen die Autos jetzt kaputt, alle, und die andern Maschinen auch.«
»Auch Ihre Flinten?«
»Auch sie sollen an die Reihe kommen, falls wir noch Zeit dazu finden. Vermutlich werden wir morgen oder übermorgen alle erledigt sein. Sie wissen ja, unser Erdteil war scheußlich übervölkert. Na, jetzt soll es Luft geben.«
»Schießen Sie denn auf jedermann, ohne Wahl?«
»Gewiß. Für manche mag es ja ohne Zweifel schade sein. Zum Beispiel um die junge hübsche Dame hätte es mir leid getan – sie ist wohl Ihre Tochter?«
»Nein, es ist meine Stenographin.«
»Desto besser. Und nun steigen Sie bitte aus, oder lassen Sie sich von uns aus dem Wagen ziehen, denn der Wagen wird vernichtet.«
»Ich ziehe es vor, mit vernichtet zu werden.«
»Wie Sie wünschen. Erlauben Sie noch eine Frage! Sie sind Staatsanwalt. Es war mir immer unbegreiflich, wie ein Mensch Staatsanwalt sein kann. Sie leben davon, daß Sie andere Leute, zumeist arme Teufel, anklagen und zu Strafen verurteilen. Nicht?«
»Es ist so. Ich tat meine Pflicht. Es war mein Amt. Ebenso wie es das Amt des Henkers ist, die von mir Verurteilten zu töten. Sie selbst haben ja das gleiche Amt übernommen. Sie töten ja auch.«
»Richtig. Nur töten wir nicht aus Pflicht, sondern zum Vergnügen, oder vielmehr: aus Mißvergnügen, aus Verzweiflung an der Welt. Darum macht das Töten uns einen gewissen Spaß. Hat Ihnen das Töten nie Spaß gemacht?«
»Sie langweilen mich. Haben Sie die Güte, Ihre Arbeit zu Ende zu führen. Wenn der Begriff der Pflicht Ihnen unbekannt ist . . .« Er schwieg und verzog die Lippen, als wolle er ausspucken. Es kam aber nur ein wenig Blut, das an seinem Kinn kleben blieb. »Warten Sie!« sagte Gustav höflich. »Den Begriff der Pflicht allerdings kenne ich nicht, nicht mehr. Früher hatte ich amtlich viel mit ihm zu tun, ich war Professor der Theologie. Außerdem war ich Soldat und habe den Krieg mitgemacht. Das, was mir Pflicht schien und was mir von Autoritäten und Vorgesetztenjeweils befohlen
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