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Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Titel: Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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Vorwort zur 5. Auflage
    Heutzutage scheint ein Gespräch über Radsport kaum mehr möglich, ohne dass jemand das Thema Doping berührt beziehungsweise beplärrt. Aus diesem Anlass bekommen die folgenden Auflagen ein Vorwort zum Vorwort.
    Mein Buch handelt zwar eher nicht vom Radfahren als einem Alles-oder-nichts-Wettbewerb unter jungmännlichen Konkurrenztieren – ein Leser brachte für die von mir beschriebene Art der Leibesübung vielmehr den schönen Begriff »Mobilmeditation« in Vorschlag –, kommt aber immer wieder auf die Profis zu sprechen. Deren Treiben ist für die Freizeitradler insofern unverzichtbar, als dass es ihnen sozusagen den Horizont absteckt. Namentlich die Herren Armstrong und Ullrich tauchen hier öfter mal auf, es gehört ihnen sogar ein eigenes Kapitel, und so soll es auch bleiben, denn als diese gleichwohl überzeitliche Betrachtung niedergeschrieben wurde, haben sie nun einmal den Radsport dominiert.
    Nun lese ich gerade im ›Spiegel‹, Ullrich werde, obwohl des Dopings und der Doping-Lüge überführt, »noch immer als Held gefeiert«. Aber als was denn sonst? Wer mit über 22 Stundenkilometern nach L’Alpe d’Huez hinaufradelt und ohne Doping vielleicht bei nur knapp über 20 läge, ist ein Held – und Schluss! Hat Siegfried nicht auch im Drachenblut gebadet, und gilt er trotz dieser Wettbewerbsverzerrung nicht seit ca. 1600 Jahren als ein gewaltiger Held? Ullrich, dem sein eigenes Blut genügen musste, hat nur getan, was alle taten,und der einzige Vorwurf, den man ihm wohl machen muss, ist der, dass er auch beim nichtlegalen Leistungssteigern weniger clever war als sein U S-Konkurrent . Armstrong fährt bekanntlich immer noch, während alle, die in den letzten zehn Jahren versucht haben, ihn vom Sockel zu stoßen, des Dopings überführt worden sind (Alberto Contador bisher ausgenommen). Ich bin geneigt, das originell zu finden.
    Was ich dagegen gern zurücknähme, ist das Kapitel »Einkalkulierte Verwahrlosung«. Nichts, meine ich heute, rechtfertigt das Schlechtgekleidetsein. Doch auch hier muss gelten: Geschrieben ist geschrieben.

    München, den 19. Oktober 2009
    Michael Klonovsky

Vorbemerkung
    Radfahren ist ebenso sehr eine Beschäftigung des Kopfes wie der Beine. Dieses Buch soll deshalb einen gewissen Beitrag zur Feuilletonisierung des Radsports oder auch zur Verradsportlichung des Feuilletons leisten, was von einer Passionsphilosophie zu erwarten ja wohl das Mindeste ist. Zwar will der Autor die Pedaltreterei keineswegs zum Intellektuellensport aufblasen – so etwas gibt es nicht mal theoretisch, und empirisch spricht fast alles dagegen –, aber wer bereits mit dem ersten Satz nichts anfangen kann, sollte dieses Buch allenfalls zum Verschenken erwerben. Wer ferner dem veritablen Dachschaden einer so genannten Passion nicht ohne Ironie zu begegnen vermag, sei ebenfalls besser präventiv vom Leserkreis ausgeschlossen. Beziehungsweise »stehle weinend sich aus diesem Bund« (Schiller).

Einleitung
oder:
Serpentinen-Libido
    Wo es um Passion geht, gilt es gemeinhin als erlaubt, sein Herz auf der Zunge zu tragen. Ich beginne deshalb mit der auch für mich immer wieder etwas absonderlich wirkenden Feststellung, dass der Anblick einer bergauf führenden (möglichst spärlich befahrenen, sonnenbeschienenen) Serpentinenstraße in mir Gefühle von ähnlicher Intensität auslöst wie der Anblick einer schönen Frau. Genauer: einer sich räkelnden und kurvig oder auch kurvenbetont dahingegossenen Frau. Sozusagen einer Frau mit zehnprozentiger Steigung. Ich drehe mich gewissermaßen nach Serpentinen um. Manchmal übrigens buchstäblich, etwa im Auto. Ich starre aus dem Rückfenster, überschlage Länge und Steigungsgrad und frage mich, warum um alles in der Welt ich mir das nun wieder entgehen und fremde Kräfte statt der eigenen walten lasse. Ich schmachte sie sehnsüchtig an, wenn ich beispielsweise einen Tour-de-France-Bildband durchblättere. Serpentinenstraßen sind so schön, wie sie sich durch die Berglandschaft schlängeln. Anmutig weisen sie den Weg hinauf. Folge mir, spricht die Serpentine, deshalb bin ich da. Sieh, wie vergleichsweise sanft ich mich emporwinde, einen eigentlich auf Rädern nicht zu bewältigenden Anstieg in fahrbare Abschnitte zerlegend. In fließender Regelmäßigkeit schieben und winden sich die Kurven übereinander. Der Asphalt bildet einen einladenden Kontrast zur Schroffheit der Felsflanken, zumindest wenn man vom Rennrad her denkt.

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