Der Stern des Untergangs
Blaugewandete lächelte verächtlich, als hielte er den herbeikommenden jungen Krieger für den größten aller Narren.
Knapp vor des Priesters Flammenschild blieb Daron stehen. Er spürte dessen Hitze im Gesicht, während er dem Zauberer in die Augen blickte. Sonjas Messer hielt er in der ausgestreckten Hand, die Spitze geradewegs auf des Mannes Stirn gerichtet.
Das höhnische Lächeln des Zauberers schwand, da er sich offenbar anstrengen musste. Gleich darauf verstärkte sich die Leuchtkraft seines Flammenschirms und weitete sich, bis er fast Darons Rüstung berührte.
Daron rührte sich nicht vom Fleck. Er starrte den Hexer an – von dessen Gesicht nun auch die letzte Spur des abfälligen Lächelns schwand.
»Du schimpfst uns Narren!« flüsterte Daron ihm zu. »Der größte Narr bist du! Sieh mir in die Augen! Ich bin der Sohn des Schwarzen Oduracs, und ich bringe dir seinen Fluch der tausend Tode.«
Der Priester öffnete den Mund zum Schrei, doch im selben Moment löste Daron die Finger vom Messer. Es schoss vorwärts, durchdrang mühelos den feurigen Schirm und bohrte sich bis zum Griff durch Knochen und Gehirn in des Blaugewandeten Stirn.
Der Zauberer brach zusammen. Das gespenstische Licht um ihn löste sich auf. Kurz noch wand er sich auf dem Steinboden, dann erschlaffte er, und im Augenblick seines Todes löste sich etwas wie eine hauchdünne bläuliche Rauchschwade.
Daron drehte sich mit ausdruckslosem Gesicht um und sah, dass es Ban-Itos gelungen war, sich durch die Söldner zu drängen. Er stand nun neben Sonja.
»Jetzt können wir weiter eindringen«, sagte er. »Folgt mir …«
Sonja sah nun, dass der Korridor in einem riesigen weißen Raum endete – wahrhaftig ungeheuerlich groß –, der von einem geradezu grellen Licht erhellt wurde, dessen Quelle nicht erkennbar war. Hoch über ihrem Kopf bemerkte sie, als sie durch dieses blendende Leuchten inmitten des Berges emporblickte, Steinbrücken. Sie überkreuzten einander, zwanzig oder dreißig, und verbanden offenbar jedes Stockwerk der Zikkurat mit schwarzen Öffnungen, die tiefer in den geheimnisvollen Berg führten.
Daron deutete nach oben. »Dort!« Er meinte damit die oberste Brücke. »Das ist der Weg zum höchsten Haus des Tempels, in dem der Stern aufbewahrt wird.«
Sonja ging auf die weite weiße Ebene zu, doch Daron hielt sie zurück.
»Nein! Hier trügt der Schein.« Er machte selbst einige Schritte nach vorn, dann drehte er sich zu Sonja, Ban-Itos und den erwartungsvollen Soldaten um, blickte sie an und wandte sich wieder dem grellen Weiß zu. Er schnellte den Arm vor, und seine Faust krachte durch eine unsichtbare Barriere – sofort verschwand der weißleuchtende Boden.
Sonja holte erschrocken Luft, genau wie die Söldner, von denen auch einige zu fluchen begannen. Nun, da das Trugbild durch Daron zerschmettert war, sahen sie ganz deutlich eine gewaltige, gähnende Kluft vor sich, deren gegenüberliegender Rand sich in der Düsternis von wirbelndem Nebel und Rauchschwaden verbarg. Schmale rote Zungen leckten nach den Wänden der ungeheuren Grube, wie tief am Boden brennende Flammen.
Sonja trat näher heran. Schnell streckte Daron einen Arm aus, als wolle er verhindern, dass sie vorwärts gezogen würde. Tatsächlich verspürte Sonja ein seltsames Drängen weiterzugehen, als befände sich vor ihr noch fester Boden.
»Dieser Abgrund verliert sich im Nichts«, warnte Daron sie. »Er fällt in einen endlosen Wirbel jenseits von Raum und Zeit. Es ist ein Loch in der Welt, durch Thotas’ Willen und mit den Kräften des Sterns erschaffen. Allein seine Dämpfe einzuatmen, kann Menschen zu geistlosen Kreaturen machen. Wir müssen uns beeilen!«
Sonja verzog das Gesicht und blickte empor. »Wie kommen wir dann dort hinauf?« Sie deutete mit dem Schwert zum Fuß der ersten hohen schwarzen Steinbrücke.
Daron blickte über sie hinweg, und sein Kopf wies die Richtung. »Über die Treppe.«
Sonjas Blick folgte seinem. In den Stein war im Zickzack eine Treppe gehauen, mit breiten Absätzen, die zu den gewölbten Brücken über dem unendlichen Abgrund führten. Sonja wandte sich an die Söldner. »Seht ihr die Treppe? Wir müssen sie erklimmen! Und lasst euch von nichts und niemandem aufhalten!«
10
DER TOD IN DER ZIKKURAT
Als Sonja den ersten Treppenlauf hocheilte, hörte sie von oben Kampflärm. Erstaunt hielt sie an und spähte zu den Brücken empor. Sie sah einige ihrer eigenen Männer – offenbar von den Divisionen,
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