Der Stern des Untergangs
Abgrund.
Daron fiel auf den Rücken. Wo die Knochenhand seine Brust berührt hatte, war nun ein Aschenfleck, umgeben von den geborstenen Gliedern des Kettenhemds. Sonja warf sich neben ihn auf die Knie. Ban-Itos kroch mit letzter Kraft zu ihnen.
Der greise Zauberer blickte in Darons Augen. »Ihr Götter! Ihr Götter!« stöhnte er. »Das war ein Versehen! Es hätte nicht sein dürfen! Das war nicht sein Los …«
»Daron! Daron!« rief Sonja flehend.
Er ächzte und öffnete die Augen, doch als er Atem holen wollte, verzog sein Gesicht sich vor Schmerzen und Tränen rollten über seine Wangen. Dunkles Blut, vermischt mit der Asche auf seiner Brust, sickerte aus der verglühten Rüstung, und zwei weiße Rippen waren durch die zerrissenen Muskeln und das angesengte Fleisch zu sehen.
»Mitra! Mitra!« schluchzte Sonja. »Ban-Itos, rettet ihn!«
Der Greis blickte sie nur an, und Tränen glitzerten in seinen Augen.
»Mitra!« hauchte Sonja.
Sie stand auf und schaute hinter sich. Drei Soldaten warteten auf der Treppe. Sie hatten gesehen und gehört, was passiert war, aber sie waren auf den Stufen geblieben und erwarteten Sonjas Befehl.
Sonja blickte sie an, dann sah sie zu der großen dunklen Türöffnung über ihnen. Die Treppe endete dort.
Sie blickte Ban-Itos an. »Sind dort oben Gemächer?«
Er nickte.
»Wir müssen ihn in eines bringen.«
»Rote Sonja, Thotas und der Stern sind …«
Sie wandte sich von ihm ab und winkte die Soldaten herbei. »Kommt und tragt ihn hoch!«
Die drei hoben Daron vom Boden. Sie waren so behutsam wie nur möglich, trotzdem stöhnte Daron, und frisches Blut quoll aus der Wunde.
»Hinauf!« zischte Sonja die Männer an.
Vorsichtig trugen sie ihn den letzten Treppenlauf hoch. Sonja folgte ihnen, und hinter ihr Ban-Itos. Die Treppe endete an einem Korridor, der in Richtung Zikkuratspitze führte. Die Wände hier sahen wie neuerbaut aus. Sonja ging vor den drei Soldaten her, und als sie zur ersten von mehreren Türen in diesem Gang kam, versuchte sie die Klinge hinunterzudrücken.
Die Tür ließ sich öffnen. Dahinter befand sich eine Kammer mit einer Liege, einem Tisch, Stühlen und Bücherregalen – die Zelle eines Priesters.
»Hier herein!« rief sie.
Sie trugen Daron in die Kammer und legten ihn auf das harte Bett. Ban-Itos folgte ihnen nicht, sondern hielt Wache. Sonja sah, wie Daron um Atem ringend in der Düsternis lag. »Zündet eine Fackel an«, befahl sie ihren Männern. Einer kniete sich nieder, dann war das Scharren von Feuerstein und Stahl zu hören, und schon flammte eine Fackel auf, die sie in eine Wandhalterung steckten. Oranger Schein fiel über Darons bleiches Gesicht.
»Geht jetzt«, wies Sonja die Söldner an. Als sie nicht sofort Schritte hörte, die vom Rückzug der Männer kündeten, brauste sie auf: »Geht! Geht! Lasst mich mit ihm allein!«
Bestürzt über ihren Ton wichen sie zurück. Sonja folgte ihnen, bis sie über der Schwelle waren, dann schlug sie die schwere Holztür zu und schob den Riegel vor. Als sie sich wieder dem Lager zuwandte, ließ sie das Schwert zu Boden fallen. Tränen rannen ihr über die Wangen, als sie zu Darons Bett zurückkehrte und davor auf die Knie sank.
Ob überhaupt Geister ein Heim hier finden konnten, in dieser trostlosen Umgebung, in dieser Zikkurat, die über einem Höllenschlund erbaut war?
Sonja spürte, wie die Kälte aus der Welt der Toten sich um sie stahl und sie wie ein eisiges Leichenhemd einhüllte. Schlug ihr Herz noch? Hatte sie wahrhaftig das Leben gelebt, an das sie sich erinnerte? Gab es irgendwo irgendwelche Antworten, wahre Antworten, die jemand inmitten all des Wahnsinns zu finden vermochte, die Leben und Tod boten?
Welcher Fehler war begangen worden, dass die Zeit nicht wie ein Pfad rückwärts beschriften werden und die Wahrheit gelehrt werden konnte, die dies ermöglichte?
Neben dem geliebten Mann kniend, lauschte sie seinem qualvollen Atmen und spürte den Schmerz seiner Wunde am eigenen Körper. Es zerriss ihr beinah das Herz. Sie blickte in seine halbgeschlossenen Augen und suchte nach einem Hinweis auf die Sterne, dem Versprechen einer Rückkehr. Doch da war nur der Schmerz und das Verlangen nach Erlösung.
Mitra! Eine Leere hatte sich im Herzen der Welt aufgetan!
Ihr wurde nun klar, dass der Trost von hunderterlei Möglichkeiten sie beschäftigt hatte, und zwar sowohl bewusst wie unbewußt, während all der langen Stunden der Entbehrungen, der Furcht und Gefahr, die sie mit Daron
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