Der Täter / Psychothriller
Schulter an Schulter mitten auf dem Strand und ließen ihre vom Salzwasser steifen Kleider, die sie trugen, in der Sonne trocknen. Man hatte ihnen eine Decke über die Schultern gelegt, und sie zitterte einmal, obwohl ihr in der zunehmenden Hitze nicht kalt war. Hinter ihnen stand ein halbes Dutzend Polizeiautos auf der Zufahrtsstraße, und mehrere Beamte in Uniform hielten eine kleine Schar Schaulustiger in Schach. Ungefähr fünfhundert Meter vor der Küste kreuzten ein Kutter der Küstenwache sowie zwei Patrouillenboote der städtischen Polizei durchs blaue Wasser. Espy Martinez sah, wie auf dem Heck eines der Polizeiboote zwei Taucher ihre Ausrüstung fertig machten.
»Meinst du, sie finden ihn?«, überlegte sie laut.
»Keine Ahnung«, antwortete Robinson. »Die Ebbe war ziemlich stark.« Er drehte sich um und sah zu, wie einer der weißgekleideten Gerichtsmediziner Simon Winters Leichnam in einen schwarzen Vinylsack legte. Er warf einen letzten Blick auf die weißen Basketballschuhe des alten Mannes, dann wurde der Reißverschluss zugezogen.
Robinson sah, wie der Arzt durch den Sand in seine Richtung stapfte. Die Jacke des Mannes bauschte sich in einer leichten Brise.
»Der alte Mann ist nicht ertrunken«, berichtete er. »Er hat eine Stichwunde in der Seite. Wie hat er sich die geholt, Detective?«
»Er hatte eine anstrengende Nacht«, erwiderte Robinson.
Der Gerichtsmediziner schnaubte, dann kehrte er zurück, um das Verladen der Leiche zu überwachen.
»Wer war er?«, fragte Martinez leise.
»Der Schattenmann?« Robinson schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Ich bezweifle, dass wir es je herausfinden. Früher einmal war er jemand, aber wahrscheinlich hat er seit dem Krieg so oft seinen Namen und seine Identität gewechselt, dass es den ursprünglichen Mann schon längst nicht mehr gab.«
Sie nickte.
»Und nun?«
»Und nun nichts.«
Sie zögerte, dann legte sie ihm die Hand auf den Unterarm. Walter Robinson nahm sie und führte sie sich an seine Stirn, als könnte sie ihn wie Eis ein wenig kühlen. Dann legte er sie wieder auf seinen Arm und lächelte.
»Na ja, nichts wäre übertrieben«, meinte er.
Die Gerichtsmediziner hoben vor ihren Augen den Leichensack auf. Langsam kämpften sie sich durch den losen Sand. Als ob der Mann, den sie trugen, plötzlich schwerer und größer geworden wäre und beinahe ihre Kräfte überstieg, sanken sie bei jedem Schritt tief ein.
»Wart ihr Freunde?«, fragte Espy Martinez.
»Wir waren dabei, es zu werden«, erwiderte Robinson. »Ich hatte gehofft, einiges von ihm zu lernen.«
Martinez dachte eine Weile über die Bemerkung nach, dann sagte sie: »Ich glaube, das hast du.«
Wortlos blieben sie eine Minute sitzen, dann hörte sie von der Straße aus jemanden ihren Namen rufen. Sie sahen, wie der Rabbi und Frieda Kroner von einem Polizisten zurückgehalten wurden. Der Beamte drehte sich fragend zu Detective Robinson um, und er machte ihm Zeichen, die beiden durchzulassen.
»Es ist endgültig vorbei«, erklärte Robinson, als sie nahe genug herangekommen waren. »Das verdanken Sie Detective Winter. Von dem Schattenmann haben Sie nichts mehr zu befürchten.«
»Der arme Mr.Winter«, sagte Frieda Kroner und wischte sich die Augen. »Ich werde ihn in meine Gebete einschließen und ihm danken und auch für all die anderen eins sprechen.«
Rabbi Rubinstein nickte.
»Einen jeden Schatten wird man nicht vernichten können, Detective«, wandte er sich an Robinson. »Nicht, wenn er aus einer solchen Finsternis kommt.« Er reichte Frieda Kroner den Arm. »Aber
einen
unschädlich zu machen, ist schon eine gewaltige Leistung«, fügte er hinzu.
Dann drehten sich die beiden Überlebenden um und strebten Richtung Stadt ihren Wohnungen zu. Einen Augenblick lang sahen Walter Robinson und Espy Martinez ihnen nach, wie sie langsam durch den Sand stapften, der unter ihren Füßen so lose zu zerrinnen schien wie die menschliche Erinnerung. Schließlich nahm Walter Robinson Espy Martinez bei der Hand, und mit verschränkten Fingern folgten sie dem alten Paar.
[home]
Nachwort zur deutschen Erstausgabe
I m Brennpunkt jedes Thrillers oder Spannungsromans tummelt sich der
bad guy
. Er liefert gewissermaßen den Brennstoff, der das Buch vorantreibt. Er – oder sie, je nachdem – erzeugt die Atmosphäre, an der sich die Leidenschaften der übrigen Figuren entzünden. Die Dynamik der Handlung, die Entwicklung der Charaktere, die Kraft der Sprache – alle zehren sie von
Weitere Kostenlose Bücher