Der tausendfältige Gedanke
den Weidegründen der Utemot zurückzukehren, wo er größere Qualen leidet als je zuvor. Er flieht das Getuschel und die Blicke seiner Stammesbrüder und reitet zu den Gräbern seiner Vorfahren, wo er einen schwer Verwundeten inmitten toter Sranc auf dem Hügelgrab seines Vaters sitzen sieht. Als er sich ihm vorsichtig nähert, merkt er tief erschrocken, dass er den Mann kennt oder doch beinahe kennt, da er Anasûrimbor Moënghus – vom Alter einmal abgesehen – täuschend ähnlich sieht.
Moënghus war vor dreißig Jahren, als Cnaiür noch fast ein Junge war, gefangen genommen und seinem Vater als Sklave überlassen worden. Er behauptete, ein Dûnyain zu sein, also einem außergewöhnlich weisen Volk anzugehören, und Cnaiür verbrachte viele Stunden mit ihm, in denen sie über Dinge redeten, die für Krieger der Scylvendi tabu waren. Was danach geschah – die Verführung, der Mord an Skiötha und Moënghus’ Flucht –, hat Cnaiür sein Leben lang gequält. Einst liebte er Moënghus, nun aber hasst er ihn mit erschreckender Intensität und glaubt, sein Herz könne nur gesunden, wenn er ihn töte.
Und nun ist ihm dieser Doppelgänger begegnet, der sich auf der gleichen Reise befindet wie das Urbild.
Als er begreift, dass der Fremde seine Vergeltung ermöglichen könnte, nimmt Cnaiür ihn gefangen. Dieser Anasûrimbor Kellhus behauptet, er sei der Sohn von Moënghus und von den Dûnyain gesandt, um seinen Vater in einer fernen Stadt namens Shimeh zu ermorden. So gern Cnaiür ihm diese Geschichte auch abnehmen würde: Er bleibt vorsichtig und ist beunruhigt, denn in all den Jahren, in denen er wie besessen über Moënghus nachdachte, ist ihm klar geworden, dass die Dûnyain mit übernatürlichen Fähigkeiten und unmäßiger Intelligenz gesegnet sind. Und er weiß nun, dass Macht ihr einziges Ziel ist, welches sie aber nicht – wie andere – durch Gewalt und Furcht erreichen wollen, sondern durch Täuschung und Liebe.
Cnaiür erkennt, dass Kellhus ihm genau die Geschichte erzählt hat, die ein Dunyain, der entkommen will und auf sicheres Geleit durchs Gebiet der Scylvendi spekuliert, ihm auftischen muss. Dennoch lässt er sich auf einen Handel mit ihm ein und erklärt sich bereit, ihn auf seiner Suche zu begleiten. Die beiden machen sich auf den Weg durch die Steppe und liefern sich dabei einen Krieg der Worte und Leidenschaften. Mitunter ist Cnaiür drauf und dran, Kellhus ins heimtückische Netz zu gehen, schreckt aber stets im letzten Moment zurück. Nur sein Hass auf Moënghus und sein Wissen über die Dunyain bewahren ihn davor, in die Fallen zu tappen, die Kellhus ihm stellt.
An der Grenze nach Nansur müssen sie sich feindlich gesonnener Scylvendi erwehren, die von einem Raubzug ins Kaiserreich zurückkehren. Kellhus’ unheimliches Kampfgeschick erstaunt und erschreckt Cnaiür gleichermaßen. Nach dem Kampf finden die beiden eine gefangene Konkubine namens Serwë im Hab und Gut der besiegten Plünderer. Von ihrer Schönheit gefesselt, nimmt Cnaiür sie als Beute und erfährt durch sie von Maithanets Heiligem Krieg um Shimeh – der Stadt also, in der Moënghus sich vermutlich aufhält. Kann das Zufall sein?
Wie dem auch sei – der Heilige Krieg zwingt Cnaiür, von seinem ursprünglichen Plan abzurücken, das Kaiserreich, in dem seine Herkunft fast den sicheren Tod bedeutet, zu umgehen. Nun, da die Herrscher der Fanim zum Krieg rüsten, bleibt ihm und Kellhus nur noch eine Möglichkeit, die heilige Stadt zu erreichen: Sie müssen Männer des Stoßzahns werden und sich dem Heiligen Krieg anschließen. Doch das Heer sammelt sich vor der Stadt Momemn, die mitten im Kaiserreich liegt, also dort, wo der Scylvendi keinesfalls hin kann. Nun da sie die Steppe sicher durchquert haben, ist Cnaiür davon überzeugt, dass Kellhus ihn töten wird, weil er als Dûnyain keine Belastungen duldet.
Beim Abstieg aus den Bergen stellt Cnaiür Kellhus zur Rede, doch der behauptet, er habe noch Verwendung für ihn. Vor Serwës entsetzten Augen kämpfen die beiden Männer, und obwohl Cnaiür Kellhus überraschen kann, überwältigt der ihn spielend und lässt ihn über einem Abgrund baumeln. Als Beweis, dass er sich an ihr Abkommen halten will, verschont der Dunyain den Scylvendi. Moënghus sei viel zu mächtig, als dass er ihm allein entgegentreten könne. Sie bräuchten ein Heer, und anders als Cnaiür habe er vom Krieg keine Ahnung.
Trotz starker Bedenken glaubt ihm Cnaiür, und sie setzen die Reise fort. Im Laufe
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