Der Tempel zu Jerusalem
Älteste kam am
schnellsten zur Sache. Kaum hatte sich Banajas von der sterblichen Hülle
entfernt, da schoß er schon. Der Pfeil bohrte sich in die Hand. Der Jüngere,
der sich über diesen mittelmäßigen Schuß freute, nahm sich Zeit mit dem
Visieren. Der Pfeil fuhr in die Stirn des Toten. Ein vollendeter Schuß. Der
Jüngste hob den Bogen und zielte auf sein Herz, warf jedoch die Waffe zornig zu
Boden.
«Das ist
unwürdig», protestierte er. «Ich mache mich nicht zum Mörder meines Vaters,
selbst wenn er nur noch eine Leiche ist. Lieber bin ich arm.»
Und als er
den Platz mit großen Schritten verlassen wollte, rief Salomo laut hinter ihm
her:
«Bleib hier
und sei ein würdiger Erbe des Stammeshäuptlings. Nur du kannst der echte Sohn
sein.»
«Es lebe
König Salomo!» rief Banajas.
Und sogleich
fielen hundert weitere Stimmen ein.
Kapitel 5
Der
Oberhofmeister, der das Leben am
königlichen Hof zu regeln hatte, war fertig mit den Nerven. An vier
aufeinanderfolgenden Tagen hatte er sich geweigert, den Höflingen, die um eine
Audienz ersucht hatten, die Türen zu den Gemächern des Herrschers zu öffnen.
Die Proteste wurden immer zahlreicher, schärfer und immer lauter. Doch der
Oberhofmeister, ein schmerbäuchiger und leutseliger Mann, ließ sich nicht
erweichen. Er, der das königliche Siegel verwahrte, unterhielt sich jeden
Morgen mit dem Herrscher, der ihm die Namen der Personen gab, die er empfangen
wollte. Während der Audienzen wartete der hohe Würdenträger dann geduldig an
der Tür. Zuweilen waren die Tage lang und eintönig. Doch das Amt erweckte so
viel Neid, daß sein Träger die Unannehmlichkeiten gern in Kauf nahm.
Salomo
handelte gegen seine Gewohnheiten, als er sich in sein Arbeitszimmer einschloß,
wohin ihm der Oberhofmeister Listen mit den Namen von Beamten brachte, die die
Verwaltung des Landes leiteten und die Salomo mit größter Sorgfalt prüfte.
Wie erklärte
sich diese Haltung, außer daß der König zutiefst verstört war? Der
Oberhofmeister selbst machte sich nichts vor. Der neue König hatte beschlossen,
die Hierarchie umzugestalten. Der Herold, ein ehemaliger Bauer mit gebräunter
Haut, der sein Wohlergehen David verdankte, teilte seine Meinung. Er hatte die
Aufgabe, dem König zu sagen, was im Land vor sich ging, und hatte die
offiziellen Zeremonien zu regeln. Er machte sich Sorgen um seine Zukunft.
Salomos Schweigsamkeit verhieß nichts Gutes.
Während sich
Jerusalem in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne sonnte, rief Salomo
den Oberhofmeister und den Herold zu sich. Beklommen erschienen die beiden Würdenträger
gemeinsam vor dem Herrscher, um den herum etliche aufgerollte Papyri lagen. Der
König sah überhaupt nicht müde aus.
«Die von
meinem Vater ernannten Beamten bleiben im Amt», teilte Salomo ihnen mit. «Der
Palast hier ist ordnungsgemäß verwaltet. Dazu kommt jetzt noch ein Dutzend
Hofmeister, die sich im königlichen Haushalt abwechseln. Die sollen jeden Tag
Gerste und Stroh für Pferde und Zugtiere ausgeben. Sie sollen Mehl holen und
zehn Mastochsen, zwanzig freilaufende Ochsen und hundert Hammel ins
Schlachthaus führen. Meine Köche wachen dann darüber, daß die Nahrung gerecht
verteilt wird. Du, Herold, verkündest diese Beschlüsse morgen früh öffentlich.»
Strahlend
entfernte sich der Würdenträger. Er würde seinen Posten behalten.
Der
Oberhofmeister war besorgt, traute sich aber dennoch, eine Frage zu stellen.
«Gebieter,
wen möchtest du morgen empfangen?»
«Einen
einzigen Menschen: Elihap.»
«Ich
befürchte, dein Wunsch…»
«Das ist kein
Wunsch», berichtigte Salomo, «sondern ein Befehl. Elihap gehört zur Dienerschaft
dieses Palastes. Er dient Israels König.»
«Es ist nur…
Elihap stammt aus Ägypten und…»
«Weiter.»
«Dein Vater hat das
zweifellos übersehen und hat ihn eingestellt, weil er mehrere Sprachen
spricht.»
«Das ist doch
etwas.»
«Zweifellos,
Gebieter, aber Elihap hat einen schweren Fehler gemacht.»
«Und der
wäre?»
«Als sein
Vater kurz vor David gestorben ist, wollte er ihn nach ägyptischem Brauch
begraben. Wir haben protestiert und…»
«Und habt ihn
sogar bedroht», schloß der König.
«Er muß
unsere Abmahnung falsch aufgefaßt haben.»
«Wo ist er im
Augenblick?»
«Elihap ist
geflohen», gestand der Oberhofmeister.
«Er hält sich
versteckt. Du und der Herold, ihr habt den Auftrag, ihn vor dem Morgengrauen zu
finden.»
«Majestät…»
Salomos Blick
verbot jede
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