Der Teufel vom Waiga-See
Damen, flüsternd, als wären sie in der Kirche.
Thea hörte, wie die Abteiltür geöffnet
wurde und blickte auf. Der Atem stockte. Das Herz machte Bocksprünge.
Soll ich jetzt um Hilfe
schreien? schoß es ihr durch den Kopf.
*
Tim grinste so zufrieden, als
wäre die Welt — zumindest seine — völlig in Ordnung.
„Da bist du.“ Er setzte sich
neben sie. „Ich dachte, ich hätte dich schon — und weg warst du. Diese
plötzliche Eile kann...“
Er las in ihrer Miene, sprach
nicht weiter, hob die Brauen.
Das Mädchen starb ja fast vor
Angst.
„Heh, heh“, sagte er. „Bist du
etwa vor mir getürmt?“
Theas Lippen bebten, sie
antwortete nicht.
„O nein!“ lachte Tim. „Das haut
mein Nilpferd vom Drahtseil. Du hast Zeitung gelesen, wie? Und denkst jetzt,
ich sei der Raubtäter.“ Er patschte sich auf die Schenkel. „Thea, Kommissar
Glockner, ich, meine Freundin, Bahnpolizisten — wir alle suchen dich seit
gestern. Weil du die einzige bist, die den Täter beschreiben kann. Es muß der
sein, der den Schlüssel weggeworfen hat. Denn als ich im Grand-Hotel antanzte,
war der Coup längst gelaufen. Übrigens handelt es sich um Isabella Scheidlitz,
meine Nenn-Tante. Ich wußte nur noch nicht, daß sie Zimmer 406 hat. Sonst wäre
ich ja gleich ausgerastet. Der Saukerl hat nicht nur ihren Schmuck und klotzig
viel Kohle geraubt, sondern außerdem“, Tims Stimme wurde scharf wie ein
Samurai-Schwert, „auch meine Uhr. Nicht diese hier. Die taugt nicht viel,
sondern meine tolle Armbanduhr, die Tante Isa mitgebracht hatte.“
Thea seufzte. Für einen Moment
schloß sie die Augen.
„Du hast doch den Typ von vorn
gesehen?“ fragte Tim.
„Ja, habe ich.“
„Vergiß nicht, wie er
aussieht.“
„Bestimmt nicht.“
„Thea, du kannst jetzt nicht
wegfahren. Wir müssen ins Präsidium.“
Sie begann zu lachen. „Ich will
gar nicht weg. Hier verstecke ich mich nur.“
„Ein Glück, daß du nicht unter
den Zug gekrochen bist. Übrigens sitzt du auf einem reservierten Platz. Jetzt
aber raus. Ich trage deinen Koffer.“
Sie verließen den Zug.
„Ich bin nicht allein hier“,
sagte Tim. „Inzwischen müßten auch meine Freunde nach dir suchen. Sie hatten
eine Stunde länger Unterricht als ich.“
„Ihr geht in verschiedene
Klassen?“
„Das nicht. Aber in Notfällen
wie diesmal gestalte ich mir den Stundenplan selbst.“ Er sah wieder zur Uhr.
„In fünf Minuten wollen wir uns treffen — am Kiosk Auslands-Presse.“
Thea wollte wissen, wieviele
Freunde es seien, und Tim erklärte, wie die TKKG-Bande sich zusammensetzt.
Sie waren da.
Gaby klemmte ihre Büchermappe
unter den Arm.
Karl saß auf seiner und lehnte
sich mit dem Rücken an den Kiosk.
Klößchen beknabberte eine Tafel
Schokolade, hielt aber jetzt damit inne. Er hatte Tim und Thea entdeckt.
„Du siehst tatsächlich so aus,
wie Tim dich beschrieben hat“, meinte Gaby nach der Begrüßung. „Ich glaube, ich
hätte dich erkannt — wärst du mir über den Weg gelaufen.“
„Ich weiß nicht“, meinte Karl.
„Meine Vorstellung von Thea war österreichischer!“
„Und wie sieht das aus?“ fragte
sie lächelnd.
„Eher wie ein Dradiwaberl (naives
Mädchen) mit Guckerschecken ( Sommersprossen ).“
„Du sprichst ja perfekt
Österreichisch.“ Thea war amüsiert. Klößchen bot ihr von seiner Schokolade an.
Sie griff zu. „Mein Vater ist Schoko-Fabrikant“, erklärte er. „Und Österreich
einer unserer besten Absatzmärkte.“
„Du bist also zu Hause
abgehauen“, sagte Gaby. „Wir wollen uns nicht einmischen in deine Probleme, Thea.
Aber das Weglaufen ist bestimmt keine Lösung.“
Thea senkte den Kopf. „Heute
nacht auf der Parkbank habe ich darüber nachgedacht. Vielleicht sollte ich
umkehren.“
„Aber erst nachdem wir bei
Gabys Vater waren“, sagte Tim, „bei Kommissar Glockner. Gehen wir, ja?“
*
Der Weg durch die Stadt wurde
nicht langweilig.
Die vier vom TKKG wiesen Thea
auf Sehenswürdigkeiten hin, erzählten von sich, von der Schule und von den
vielen Abenteuern, die sie ständig erleben.
„Manchmal kommen die Ereignisse
von ganz allein auf uns zu“, sagte Gaby. „Aber meistens macht Tim den Einstieg,
weil er seine Nase in alles steckt, was nach ‘ner Ungerechtigkeit, einer
Bedrohung oder einem Verbrechen aussieht. Oft kriegen wir’s dabei mit
ausgebufften Profis zu tun. Aber die nehmen uns nicht ernst. Wegen unserer
Jugend. Naja, und wenn’s ernst wird, ist ja auch noch mein Papi
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