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Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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schließlich.
hier regnets
und sonst
nichts sonst es regnet und regnet
hier hats geschneit
immerhin
    Eine löchrige Wolkendecke warf ihre unruhigen Schatten auf Val Grisch. In den schmalen Gassen hingen Küchendüfte, und aus einem Fenster klang ein schwermütiges Jodellied.
    Die Tür von Serainas Haus stand offen, aus dem Flur drangen gedämpfte Stimmen. Als sich ihre Augen an das Halbdunkel des Piertens gewöhnt hatten, sah sie zwei Frauen mit einem hageren, gebeugten Mann reden. Es war Casutt. Er kam zum Portal, und jetzt sah Sonia, daß er rasiert und gekämmt war und ein sauberes Hemd und eine Krawatte trug. Er roch nach einem Kölnisch, das es nicht ganz schaffte, seinen Schweißgeruch zu übertünchen. Seine Augen waren gerötet.
    »Wollen Sie zu mir?«
    »Nein, ich bin mit Seraina verabredet.«
    Casutt wechselte einen stummen Blick mit den zwei Frauen. »Heute nacht hat man sie geholt«, sagte er leise, als teilte er ihr ein Geheimnis mit.
    »Was ist passiert?«
    Eine der Frauen berichtete aus erster Hand: »Mitten in der Nacht erwache ich von einem Geräusch auf der Straße. Wie ein Singen. Oder Weinen. Ich gehe ans Fenster und sehe eine weiße Gestalt. Wie ein Geist. Ich wecke meinen Mann, und er sieht die Gestalt auch. Er öffnet das Fenster und ruft: ›He!‹
    Sie gibt keine Antwort, aber sie schaut herauf. Und jetzt erkennen wir sie: Es ist Seraina. Im Nachthemd. Wir gehen runter und holen sie rein. Sie sagt kein Wort, zittert nur. Sieht schrecklich aus mit offenen Haaren und ohne Gebiß. Zittert nur. Weiß Gott, wie lange sie schon da draußen herumgeirrt ist. Wir wickeln sie in eine Decke und bringen sie hierher. Die Tür steht offen. Aber als sie merkt, daß wir mit ihr in ihr Haus hineinwollen, fängt sie an zu schreien und wehrt sich mit Händen und Füßen. Da haben wir sie wieder zu uns gebracht und den Arzt geweckt. Der hat den Krankenwagen angerufen. Als sie sie fortgebracht haben, hat sie immer noch gezittert. Aber gesagt hat sie kein Wort.«
    »Unter Schock«, ergänzte die andere Frau.
    Die dramatischen Lichtwechsel ließen das Dorf wie das Bühnenbild für eine Freiluftaufführung erscheinen. Sonia beeilte sich. Sie wollte weg von diesem Haus und dieser Geschichte.
    Auf halber Strecke zum Hotel drang Hufgeklapper aus einer schmalen Seitenstraße. Es hallte an den Fassaden wider, als preschte eine Reiterbrigade durch Val Grisch. Sonia blieb an der Kreuzung stehen und spähte um die Hausecke.
    Es war der blaue Landauer des Hotels. Etwas schnell für die enge Straße. Curdin, der sonst immer grüßte, saß auf dem Bock und starrte angestrengt geradeaus.
    Unter dem Verdeck des Landauers erkannte sie die lachende Barbara Peters. Und, auch er aus vollem Halse lachend, il Senatore.
    In der Hotelhalle wurde sie von Manuel erwartet. Er, der bisher immer die Meinung vertreten hatte, daß sein Beruf schon Fitneßtraining genug sei, hatte darauf bestanden, sie an ihrem gemeinsamen freien Nachmittag auf ihrer Wanderung begleiten zu dürfen.
    Er trug eine neue Kniebund-Wanderhose. Aus einem Paar ebenfalls nicht sehr oft getragenen Bergschuhen ragten seine nackten, an den Waden kahlgescheuerten Unterschenkel.
    »Wenigstens keine Wandersocken«, bemerkte Sonia.
    »Ich kann sie hochrollen, wenn mir kalt wird«, erklärte er und machte es vor.
    »Und was hast du im Rucksack?«
    »Regenschutz, Pullover, etwas zu trinken, ein wenig Proviant, Verbandszeug, was man halt so braucht. Ersatzsocken.«
    »Ersatzsocken.«
    »Ich hasse nasse Füße.«
    »Die Schuhe sehen wasserdicht aus.«
    »Falls wir Bäche durchqueren müssen.«
    »Dann bauen wir Seilbrücken. Hast du Seile dabei?«
    Er stutzte eine Sekunde, dann zeigte er den breiten Abstand zwischen seinen Vorderzähnen.
    In der Einfahrt machte sich die Familie Häusermann für ihren Ausflug bereit, alle mit Mountainbikes, die sie im Sportgeschäft gemietet hatten. Bango tanzte aufgeregt um sie herum.
    Als der Spaniel Sonia sah, rannte er zu ihr und begrüßte sie. Manuel ignorierte er. Als der sich bückte und ihn tätscheln wollte, hob er die Lefzen und knurrte.
    »Ich bin eben mehr der Katzentyp«, grinste Manuel.
    Gian Sprecher hatte nun doch die Wiese neben dem Haus gemäht. Entweder hielt das Wetter, und das Gras würde so weit antrocknen, daß er den Ballenpresser kommen lassen konnte. Oder das Wetter hielt nicht, und er würde sich bei jemandem einen Heutrockner leihen.
    Er fuhr den Einachsmäher in den Schuppen, setzte sich für einen Moment zum

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