Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
Vom Netzwerk:
Kirche beten sehen. Wer an den lieben Gott glauben will, muß auch den Teufel in Kauf nehmen.«
    »Können Sie mir die Geschichte erzählen? In meinem Buch fehlt ein Teil.«
    »Mein Besuch kann jeden Moment eintreffen. Kommen Sie morgen wieder.« Seraina öffnete die Tür und wartete. »Nach dem Mittagessen. Um zwölf. Ich esse früh.«
    Sonia ging an ihr vorbei ins Freie.
    »Als meine Mutter jung war, ist ihr die Ursina eines Nachts erschienen. Sie habe blutige Tränen geweint, hat sie erzählt. Am nächsten Morgen sind die schwarzen Haare meiner Mutter schneeweiß gewesen.«
    Auf dem Weg zurück gingen die Lichter aus. Die Straße lag plötzlich im Dunkeln, die Fenstervierecke waren schwarz. Auch still war es geworden. Ein Fernseher, der dumpf von irgendwo über ihr gelärmt hatte, war verstummt.
    Sie blieb stehen und suchte in ihrer Handtasche nach der Taschenlampe. Sie hatte sie im Zimmer vergessen. Sie ging weiter, so schnell es die Dunkelheit erlaubte.
    Auch auf der Dorfstraße rabenschwarze Nacht. In einigen Fenstern flackerte Kerzenlicht, und Schatten huschten. Sie begann zu rennen.
    Dort, wo sonst das Gamander leuchtete wie ein Passagierdampfer in der Nacht, war nur noch ein bedrohlicher Umriß zu erkennen.
    Aber als sie die Einfahrt erreichte, hörte sie den gedämpften Lärm eines anspringenden Generators. Langsam glühten die Lichter auf im Gamander. Schwankten ein paarmal und blieben dann stabil.
    Das Dorf blieb dunkel.
    In dieser Nacht versuchte Sonia gar nicht erst, ohne Temesta zu schlafen. Doch als sie erwachte, war die Wirkung verflogen und die Nacht noch lange nicht vorbei.
    Sie hatte ein Geräusch geträumt. Ein leises Klimpern, Rasseln und Klirren, als turnte Pavarotti nebenan im Käfig herum. So deutlich war es gewesen, so bunt und dreidimensional, daß sie Licht machte und ins Bad ging.
    Aber da war kein Käfig. Nur der Stummel der Kerze, die sie im Waschbecken hatte brennen lassen für den Fall, daß der Generator abgeschaltet würde, bevor das Licht zurückkam. Das ferne Motorengeräusch war immer noch zu hören. Sie ging zurück ins Zimmer und schob den Vorhang ein wenig zur Seite.
    Vom Dorf her drang noch immer keine Helligkeit. Aber die Straßenlampe beim Parkplatz wurde vom Generator versorgt und warf einen trüben Lichtkegel auf die nasse Straße.
    Für einen Augenblick glaubte sie, darin eine Gestalt zu sehen.

10

    Am nächsten Tag war der Schnee im Dorf geschmolzen. Aber wenn der Wind ab und zu den Nebeltüll lüftete, blitzten hoch oben die Berge weiß hervor.
    Sonia hatte einen Morgentermin mit Dr. Stahel. Er litt weder unter Kopfschmerzen noch unter einem Kater. »Machen Sie also, was Sie für passend halten«, bat er Sonia.
    Sonia hielt ein Kopf-Shiatsu für sehr passend für einen Neuropsychologen. Sie massierte mit den Fingern beider Hände seine Kopfhaut von der Stirn bis zum Nacken. Er war frisch geduscht, und sein dichtes weißes Haar fühlte sich an, wie sich ein nasses Eisbärenfell anfühlen mußte.
    Stahel schloß die Augen. Nach einer Weile sagte er: »Morgen ist mein letzter Tag hier.«
    »Ich wollte, es wäre auch meiner«, antwortete Sonia.
    Er schlug die Augen auf, und sie sahen sich verkehrt herum an. »Ach? Und ich dachte, Sie seien auf den Geschmack gekommen.«
    »Das dachte ich auch.« Sie nahm ein Haarbüschel in jede Hand und zog sanft daran.
    »Das umgekehrte Kreuz?«
    Sonia griff sich zwei neue Haarbüschel und erzählte ihm vom zweiten umgekehrten Kreuz. »Jemand macht dort weiter, wo der Milchsammler aufgehört hat.«
    »Oder etwas.« Sie faßte seine Ohrläppchen und begann, die Ohren zwischen Daumen und Zeigefinger zu massieren. »Etwas Übernatürliches.«
    Er ging nicht darauf ein. »Und der Pianist?«
    »Was ist mit ihm?«
    »Ich bin doch nicht blind.«
    »Scheint nicht fürs Leben gewesen zu sein.«
    »Schade. Sie waren ein hübsches Paar.«
    Sonia drückte ein paar Sekunden lang in den inneren Winkel von Dr. Stahels Augenhöhlen. Dann knetete sie die Wülste, auf denen seine buschigen Augenbrauen wuchsen. »Darf ich Sie etwas fragen, das vielleicht nicht so in Ihr Gebiet fällt?«
    »Wenn es sich nicht um die Liebe handelt.«
    Sie ließ ihre Finger kreisend zu seinen Schläfen gleiten und von dort aus hinunter bis zum Muskelknoten des Kiefergelenks. »Halten Sie es für möglich«, fragte sie zögernd, »daß es in einer dieser vielen Wirklichkeiten den Teufel gibt?«
    Dr. Stahel ließ sich Zeit mit der Antwort.
    »Wahrscheinlich in allen«, sagte er

Weitere Kostenlose Bücher