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Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Grab und schauten dem Schnee zu, der jetzt als dichter Vorhang wirbelte und die Erdspuren auf dem Grabkreuz überdeckte. »Ich heiße Sonia Frey«, sagte Sonia, um das Schweigen zu brechen.
    »Seraina Bivetti«, erwiderte die Frau. Dann schwiegen sie weiter.
    Der Sigrist kam mit einer Stechschaufel zurück, hob ein kleines Loch aus und pflanzte das Kreuz so ein, wie es sich gehörte. Er drückte die Erde mit dem Schuh fest und trat einen Schritt zurück.
    Seraina fischte ein benutztes Papiertaschentuch aus der Handtasche und reichte es wortlos dem Sigrist. Der säuberte das Kreuz, bis die Inschrift wieder lesbar war, und betrachtete das Werk.
    Seraina schlug das Kreuz, Sandro Burger tat es ihr nach, und auch Sonia bekreuzigte sich.
    »Wenn ich den erwische«, sagte der Sigrist drohend.
    »Paß auf, daß er nicht dich erwischt«, murmelte Seraina.
    Sonia blieb fröstelnd neben dem Grab ihres Feindes stehen und sah zu, wie der Sommerschnee sich auf die Schultern von Serainas schwarzer Strickjacke legte wie eine fadenscheinige Boa.
    Sie fuhr zusammen, als die Kirchenglocke die Viertelstunde schlug.
    Als wäre die Glocke das Zeichen gewesen, auf das sie gewartet hatten, setzten sich die beiden in Bewegung. Sonia folgte ihnen. Ihre Schuhe hinterließen bereits Spuren auf dem schmalen Plattenweg.
    Am Friedhofstor trennten sie sich.
    »Die Ursina lüftet ihr Federbett«, sagte Seraina zum Abschied.
    Sogar auf der Dorfstraße blieb der Schnee jetzt liegen. Keine zehn Meter konnte Sonia sehen. Die Häuser auf der andern Straßenseite lagen hinter einem Schneevorhang.
    Vor ihr tauchte eine Gestalt im Gestöber auf. Zuerst nur als kaum sichtbare Verdichtung, dann als zwei Töne dunklere Silhouette. Jetzt nahm sie Farbe an. Gelb. Eine alte Frau kam auf sie zu. Sie trug eine gelbe Regenhaut, unter der eine Hose mit einem von Gelb dominierten Schottenmuster hervorschaute. Sie ging, ohne aufzublicken, an ihr vorbei. Sonia blickte ihr nach, bis das Schneegestöber die Gestalt verschluckte.
    Sie ging weiter. Hinter ihr näherte sich das Geräusch eines Motors. Sie stellte sich dicht an eine Häuserwand.
    Zwei Abblendlichter färbten die Schneeflocken gelblich. Eine schwarze Limousine materialisierte sich und löste sich gleich wieder auf. Aber die Zeit reichte, um den Wagen des Senatore zu erkennen.
    Die Reifenspuren führten zum Hotel, aber die Limousine stand nicht mehr davor. In der Einfahrt spielten Pascal und Dario im unverhofften Schnee.
    Die Glasfront der Schwimmhalle war erleuchtet. Durch das Flockentreiben war ganz schwach Frau Professor Kummer zu erkennen. Sie hatte die Arme ausgebreitet und den Kopf in den Nacken gelegt, in einer Art bewegungskünstlerischem Tanz. Von dem Teil des Thermalbeckens, der ins Freie ragte, stieg eine beleuchtete Dampfwolke auf.
    Die Lüttgers kamen aus dem Hoteleingang. Sie trugen ihre Wanderkleidung und taten, als merkten sie nichts vom Flockentanz. Beide hielten imaginäre Skistöcke in den Fäusten und begleiteten ihre Schritte mit mechanischen Armbewegungen.
    Es war, als hätte der verrückte Wintereinbruch Val Grisch vollends von der Wirklichkeit abgeschnitten.
    Sonia hatte vorgehabt, den Rest des Tages in ihrem Zimmer zu verbringen. Sie hatte keine Lust, Barbara oder Bob oder Maman zu sehen. Sie würde eine Tafel Schokolade essen und etwas fernsehen.
    Aber am Abend zog sie noch einmal die feuchten Wanderschuhe und die Windjacke an und verließ das Gamander.
    Es hatte aufgehört zu schneien, und der Schnee tropfte bereits von den Dächern. Aus vielen Kaminen stieg Rauch, und die verschneiten Häuser mit ihren erleuchteten Fenstern sahen aus wie Motive eines Adventskalenders.
    Die Lampe über dem Portal der »Chasa Cunigl« brannte. Sonia klopfte, und sogleich wurde ihr geöffnet, als hätte man sie erwartet.
    Diesmal erkannte Seraina sie. »Es geht ihm nicht besser«, sagte sie, »ich glaube nicht, daß Sie mit ihm reden können.«
    »Mit Ihnen möchte ich reden.«
    Seraina trat beiseite, ließ Sonia herein und schloß die schwere Tür. Es roch nach einem Apfelkuchen, der auf einer Kommode im Flur abkühlte. Sie machte keine Anstalten, Sonia in ihre Wohnung zu führen. »Ich habe wenig Zeit, ich erwarte noch Besuch.«
    »Als es zu schneien begann, haben Sie gesagt, Ursina lüfte ihr Federbett.«
    »Das sagt man hier, wenn es zur Unzeit schneit.«
    »Es stammt aus der Sage vom Teufel von Mailand.«
    »Es ist keine Sage.«
    Sonia war für einen Moment sprachlos.
    »Ich habe Sie heute in der

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