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Der Tod meiner Mutter

Der Tod meiner Mutter

Titel: Der Tod meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Diez
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fasste wieder ihre Wange an, weil ich wissen wollte, ob sie sich schon kühler anfühlte.
    Ich nahm die Hand weg und dachte: endlich.
    Ich schaute auf den Wal, der über ihrem Bett schwebte, auf dem Plakat von Miró gleiten neben dem Wal eine Zwiebel vorbei und
     ein Blatt, rechts daneben ist ein roter Kreis zu sehen, in den eine Art Nagel gebohrt ist. Ein goldener Haken, als ob der
     Kreis sonst wegdriftenwürde. Als ob dieser Kreis gehalten werden müsste. Ein goldenes Etwas, wie ein Tuch, flattert vor diesem Kreis.
    Das Telefon klingelte, und meine Frau sagte, dass sie einen Flug gebucht habe, dass sie gegen elf da sein werde, wenn die
     Lufthansa sie noch mitnahm, so schwanger wie sie war.
    Ich wusste nicht, wie viel Uhr es war, und ich schaute auch nicht nach.
    Ich setzte mich wieder auf den Boden, auf die Schwelle zwischen ihrem Zimmer und dem Wohnzimmer, ich lehnte mich gegen den
     Rahmen der Tür und schaute von unten zu ihr hoch, ich konnte sie sehen, wenn ich mich streckte; wenn ich einfach so dasaß,
     sah ich sie nicht.
    Ich versuchte mich zu erinnern, ich versuchte, an etwas zu denken.
    Ich stand auf und ging zum CD-Spieler. Ich wusste nicht, ob ich die Stille schön fand und tröstlich und sie nicht zerstören
     wollte; oder ob die Stille auf mir lastete.
    »Ich kann Bach schon lange nicht mehr hören, Bach spielen die Engel im Himmel.« Das hatte sie gesagt. Aber was hatte sie gehört?
    Ich drückte auf die Taste und das CD-Fach stieß mir gegen die Hand, es ging schneller auf, als ich dachte.
    Ich setzte mich vor den CD-Spieler und nahm die CD heraus, die darin war, es war »Home« von Benjamin Biolay und Chiara Mastroianni,
     die letzte Musik, die sie gehört hatte.
    Es beginnt mit dem Geräusch einer Fliege,unglaublich leicht. Das zweite Lied hat einen zarten Trommelwirbel im Hintergrund. Und das dritte Lied geht so:
    Last night I had a dream
    I was wandering in the sun
    Near a place called home
    Feeling alone
    Red sky shimmering beams
    I wish I’d see above
    I was falling down the well
    Without ringing a bell

    Ich merkte erst jetzt, dass ich weinte. Ich drückte auf den Wiederholungsknopf. Das Lied war so schnell vorbei.
    Big dog staring at me
    I don’t know where to see
    I’ve been shaking for a while
    And the words just die
    Wish I could fly
    I’m so alone with you
    Es war schön zu weinen. Es fühlte sich gut an. Ich wusste, dass mich das trösten würde, weil es mich trösten sollte.
    Das Gesicht meiner Mutter war jetzt fast kalt, das wusste ich, ohne es anzufassen. Ich spielte das Lied wieder und wieder
     und wieder.
    Das war es also, dachte ich. Aber wir weinen ja nicht um andere; wir weinen im Grunde nur um uns selbst.

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    8
    Meine Frau kam um kurz nach zehn. Sie hatte das Flugzeug gerade noch erwischt und ihren Schwangeren Bauch unter ihrem Daunenmantel
     versteckt. Sie klingelte, ich öffnete ihr die Tür und wartete, bis sie den Gang entlangkam. Sie umarmte mich.
    Und sicher sagte sie auch etwas.
    Ich weinte.
    Meine Frau weinte.
    Sie zog ihren Mantel aus, ich holte ihr ein Glas Wasser, wir standen im Wohnzimmer, sie schaltete das Licht an, dann schaltete
     sie es wieder aus. Sie ging in das Zimmer meiner Mutter, ich schaute durch die Tür hinein, so nah würden sich meine Mutter,
     meine Frau und meine Tochter nie mehr kommen.
    Als wir wieder im Wohnzimmer waren, schwiegen wir. Ich legte eine CD ein, und wir hörten Händel. Ich ging zu dem Geschirrschrank
     und zog an einer der schweren Schubladen, da löste sich einer der Metallgriffe und zwei Nägel fielen auf den Teppich. Ich
     fasste die Schublade an der Seite an und bewegte sie hin und her, aber sie ließ sich nicht mehr öffnen. Ich zogan der Schublade darunter, in der eine alte Kamera und die Kalender der letzten Jahre lagen, sehr viele rote Papierservietten
     und ein durchsichtiger Gefrierbeutel. In dem Beutel waren ein Paar weiße, etwas abgetragene Babyschuhe, eine Rassel mit gelben
     Plastikkugeln, von denen eine zerbrochen war, und ein Spielzeug aus rotem Kunststoff, das aus zwei Teilen bestand, das eine
     war wie in das andere verkrallt, das Kleinkind, das ich einmal gewesen war, sollte wohl lernen, wie man das immer wieder neu
     zusammenfügt.
    Ich legte die Sachen in den Beutel und den Beutel in die Schublade und ging in das Zimmer meiner Mutter. Ich machte das Fenster
     auf, durch das kalte Luft von draußen hereinkam. Ich schaute auf ihren Schreibtisch, ich schaute in ein paar Schubladen, ich
     fasste ein

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