Der Todesengel von Florenz
belästigen müssen.«
Ungeduldig wedelte Pater Angelico mit der Hand. »Genug der unnützen Vorreden! Kommt zur Sache! Rede, Piccarda! Was ist geschehen?«
Die Zofe rang die Hände. »Heilige Muttergottes, es ist meine Schuld! Ich hätte es nicht zulassen dürfen, aber abschlagen konnte ich es ihr auch nicht, nach allem, was sie für mich und die Familie meiner Schwester getan hat! Nun ist es geschehen, und ich weiß nicht, wie ich es Euch sagen soll …«, begann sie verzweifelt. Sie war den Tränen nahe.
»Am besten geradeheraus und ohne Umschweife, Weib!«, knurrte Scalvetti.
»Lucrezia … Donzella Lucrezia ist auf und davon!«, brach es aus Piccarda hervor. »Sie ist mit diesem jungen Franzosen durchgebrannt, Henri de la Croix!«
Pater Angelico wurde blass. Er hatte Böses geahnt und fand sich aufs schlimmste bestätigt. »Um Gottes willen! Dieser gelackte Hundesohn eines Froschschenkelfressers!«
»Welche Lucrezia?«, fragte der Commissario und runzelte die Stirn.
»Donzella Petrucci«, sagte der Novize neben ihm.
Der Commissario fuhr zu ihm herum. »Was sagst du da? Teufel auch, dann haben wir morgen ja doch noch einen Skandal, über den sich die Leute prächtig das Maul zerfetzen können!«
»Was genau ist passiert?«, fragte Pater Angelico die Zofe mit finsterer Miene.
»Der französische Herr ist doch heute abgereist, aber er hat sich mitnichten sogleich auf den Weg gemacht, um zu seinem Schiff nach Livorno zu kommen«, berichtete Piccarda, schuldbewusst und ratlos zugleich. »Er hat sich mit Donzella Lucrezia abgesprochen, dass er kurz vor Schließung der Tore ein Stück vor der Stadt auf sie wartet, mit einem zweiten Pferd für sie. Und dann bin ich zur vereinbarten Stunde mit ihr zum Tor und habe sie zu ihm gebracht.« Nun liefen die Tränen, und unter Schluchzen fuhr sie fort: »Angeblich wollte sie mit mir zur Familie meiner Schwester, um mit uns die Geburt meines Neffen zu feiern, für den Donzella doch die Patenschaft übernommen hat. Und ihr Vater hat es erlaubt … ich meine, dass sie über Nacht bei uns bleibt, weil es doch spät werden sollte. Immer wieder hab ich sie angefleht, es sein zu lassen und Vernunft anzunehmen, der Herr ist mein Zeuge! Aber sie hat einfach nicht auf mich gehört und darauf bestanden, dass ich dabei mitmache! Wo doch ihr Vater mit dem anderen Franzosen am Nachmittag das Haus verlassen hat und zu einem Geschäftsbesuch nach Seto geritten ist, von wo er erst morgen im Laufe des Tages zurückerwartet wird, da wollte sie die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen.«
»Da hast du dich in eine üble Geschichte verwickeln lassen und wirst dich für deine Beihilfe verantworten müssen«, sagte Tiberio Scalvetti streng. »Ich verstehe nur nicht, was Pater Angelico damit zu tun haben soll, geschweige denn, was du dir von ihm erhoffst.«
»Das müsst Ihr auch nicht«, beschied Pater Angelico ihn in einem Ton, der deutlich machte, dass der Commissario besser keine weiteren Fragen stellte.
Tiberio Scalvettis Brauen wanderten vielsagend in die Höhe, und Pater Angelico konnte förmlich sehen, wie der scharfe Verstand hinter seiner Stirn arbeitete und Spekulationen anstellte.
»Ihr müsst etwas unternehmen, Padre!«, flehte die Zofe. »Ihr müsst sie zurückholen! Noch ist Zeit dafür. Und auf Euch wird sie hören, das wisst Ihr doch!«
»So liegen die Dinge also«, murmelte Scalvetti leise, und es schien, als sehe er den Dominikaner plötzlich mit ganz neuen Augen. Sogar seine Mundwinkel gerieten kaum merklich in Bewegung.
Am liebsten hätte Pater Angelico lauthals geflucht, doch er beschränkte sich darauf, es stumm zu tun. Das hatte er nun davon, dass er angenommen hatte, Lucrezia habe nach der unseligen Szene im Beichtstuhl ein für alle Mal begriffen, dass sie sich keine Hoffnung machen durfte! Vor allem aber hatte er ihre Entschlossenheit, sich unter keinen Umständen in ein Kloster abschieben zu lassen, sträflich unterschätzt. Jetzt bekam er die Quittung. Und er brauchte nicht lange zu überlegen, was zu tun war. Ihm blieb überhaupt keine Wahl.
Tiberio Scalvetti sprach es noch vor ihm aus. »Wenn sie erst bei Sonnenuntergang aufgebrochen sind, dürften sie noch nicht allzu weit gekommen sein. Selbst ein liebestoller französischer Verführer ist nicht so dumm, sein Leben und das seiner Geliebten aufs Spiel zu setzen, indem er bei Nacht auf der Landstraße bleibt. Und allzu viele Gasthöfe gibt es auf dem Weg nach Livorno auch nicht. Ich lasse sofort
Weitere Kostenlose Bücher