Der Tote am Hindenburgdamm: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
schreckten sie vor den enormen Kosten eines solchen Dammbaus zurück. DieÜberlegungen zogen sich hin, bis der Bau im Jahr 1913 vom Preußischen Landtag genehmigt wurde. 1914 fingen die Bauvorbereitungen an, um nur kurz darauf von dem aufziehenden Ersten Weltkrieg unterbrochen zu werden.
Zwar fanden keine Kriegshandlungen auf der Insel statt, es wurde aber eine »Inselwache« auf Sylt einquartiert. Geschützstellungen, Baracken etc. wurden nach dem Krieg entweder zivil genutzt oder abgerissen. So dienten etwa ehemalige Kasernenanlagen, etwas abgelegen von den Hauptorten, als Landschulheime für Kinder aus den vom Krieg betroffenen Großstädten.
Nach dem Ende des Krieges wurde durch die Abtrennung vom dänischen Nordschleswig eine Verbindung zum deutschen Festland unverzichtbar. Die damaligen Hauptrouten liefen über die Häfen von Hoyer und Tondern, die seit dem Kriegsende zu Dänemark gehörten. Damit wurde die Anreise für deutsche Kurgäste erschwert, denn sie benötigten ein Visum, um von den nun dänischen Häfen nach Sylt zu gelangen. 1922 wurde unter der Bedingung, dass Deutschland einen neuen Zugang von Deutschland nach Sylt baut, eine Transitregelung getroffen – deutsche Gäste konnten in plombierten Zügen durch dänisches Gebiet reisen. Das Umsteigen an der »Hoyerschleuse« wurde durch den dänischen Zoll streng überwacht. Der Plan zum Bau eines Eisenbahndamms durch das Wattenmeer wurde wieder aufgenommen. Auch die Sylter Bevölkerung hatte nun ihre Bedenken aufgegeben und zeigte einen stärkeren Fortschrittsglauben.
So fanden ab 1921 Vorarbeiten für den Bau statt, im Mai des Jahres 1923 wurde mit dem eigentlichen Dammbau begonnen, und wieder kam es zu einer Unterbrechung der Bauarbeiten: Im August 1923 zerstörte eine Sturmflut alles bis dahin Erbaute. Zum Schutz gegen das Wasser wurde im Jahr 1924 eine Spundwand errichtet (erbaut aus in den Boden gerammten Holzbohlen, die mit Strohballen abgedichtet wurden) und die Trasse weiter nach Norden verlegt. Seitdem arbeiteten etwa 1500 Männer in Tag- und Nachtschichten. Täglich kamen siebzig Waggons mit Baumaterial vom Festland, dreißig Segler, drei Schlepper und zwanzigLastkähne brachten Baustoffe aus Husum. Insgesamt wurden 3,6 Kubikmeter Erde und 400 000 Tonnen Steine, Kies, Busch und Pfähle bewegt. Die Bauzeit des Damms betrug vier Jahre, und der Bau kostete etwa 25 Millionen Reichsmark (inklusive der Zufahrtstrecken). Der Damm ist gut elf Kilometer lang, die Sohlenbreite beträgt fünfzig Meter, und die Dammkrone ist etwa zehn Meter breit. Reichspräsident Hindenburg weihte den nach ihm benannten, jedoch nicht auf seinen Namen getauften Damm am 1. Juni 1927 ein. Heute ist der Damm Teil der Marschbahn, die von Hamburg bis Westerland führt. Er unterbricht den Gezeitenstrom zwischen Sylt und dem Festland, vermutlich sind die damit einhergehenden Strömungsveränderungen mitverantwortlich für die Landverluste an der Hörnum-Odde im Süden Sylts.
LESEPROBE
GISA PAULY
DIE HEBAMME
VON SYLT
Der historische Roman
erscheint im Aufbau Taschenbuch Verlag
P ROLOG
Es war das Jahr 1872, als sich Geesche Jensens Leben grundlegend veränderte. Ein kalter Sommer, der noch nicht viele heiße Tage gehabt hatte! Das Unwetter, das über die Insel fuhr, war nicht das erste dieses Sommers, aber das schlimmste. Der Sturm jagte die Wellen gegen den Strand, das Tosen der Brandung war auf der ganzen Insel zu hören. Viele Klänge hatte er, dieser Wind, er heulte in den Fenstern und Türen, pfiff im Reet der Dächer und fuhr mit dem Schrei einer Möwe nieder, als hätte der Sturm einen spitzen Schnabel und scharfe Krallen. Am schlimmsten aber war das Fauchen des Meeres, das ferne Grollen der Wellen, ihr Brüllen, wenn sie sich überschlugen, sich auf den Sand warfen und sich zischend zurückzogen, als wollten sie eine Warnung hinterlassen. Aus einem schwülen, drückenden Tag war dieser Sturm entstanden, einem Tag, an dem jeder auf ein reinigendes Gewitter gehofft hatte. Dass daraus ein solches Wüten, eine derartige Wucht, eine so kalte, vernichtende Kraft entstehen würde, hatte niemand erwartet. Auch die alten Seefahrer nicht, die sich mit allen Wetterlagen auskannten, die nur lange in den Himmel blicken mussten, um dann an den Wolkenbildungen, der Windrichtung und dem Verhalten der Möwen zu erkennen, was der Insel bevorstand. Sie alle hatten diesmal versagt.
Geesche fragte sich, wie viele Fischer hinausgefahren sein mochten. Jens Boyken hatte sich
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