Der Traum der Hebamme / Roman
unterdrücken. Es war sinnlos, sich in Träumen zu verlieren.
Natürlich war auch Clara mit ihren Kindern beim Landding in Schkölen gewesen; offiziell, um sich von ihrem Bruder zu verabschieden. Ihre – seine – Söhne waren prächtig gediehen. Stolz und zärtlich hatte er ihnen zum Abschied über das Haar gestrichen. Und höflich hatte sie ihm Gottes Segen und eine glückliche Heimkehr gewünscht, ohne ihm dabei in die Augen zu sehen. Sie war von Trauer umhüllt wie meistens seit der Geburt des kleinen Konrad. Am liebsten hätte er sie in seine Arme genommen, um ihr Halt und Trost zu spenden, um ihren weichen, warmen Körper noch einmal zu spüren.
Ob sie wohl alle leben und es ihnen gutgeht?, dachte Dietrich beklommen, während die Schiffsbesatzung mit Gebrüll in die Takelagen geschickt wurde, um das Segel zu reffen, und überall Leute schreiend durcheinanderrannten, um ihre Habe zusammenzuklauben.
Wird Jutta mir ein Kind gebären, während ich fort bin?, fragte er sich. Wird Clara in Freiberg sicher leben? Findet sie am Ende gar einen Mann dort, der sie glücklich macht?
Werde ich sie jemals wiedersehen?
Als einer von sehr wenigen Überlebenden des Kreuzzugs Kaiser Friedrichs, der Seuchen und der Hungersnot bei der Belagerung Akkons schien es ihm äußerst zweifelhaft, ein zweites Mal allen Gefahren entrinnen zu können. Andererseits: Weder Marthe noch Clara, auf deren Gespür er bedingungslos vertraute, hatten zu erkennen gegeben, dass sie in ihm einen Todgeweihten sahen. Im Gegenteil, Marthe und Lukas schmiedeten schon Pläne für die Zeit nach seiner Rückkehr. Das sollte ihn zuversichtlich stimmen.
Stattdessen hatte er etwas mitbekommen, das ihm nun erneut einen Schauer über den Rücken jagte: Marthes geflüstertes »Er kommt nicht wieder!«, nachdem sie ihren Sohn verabschiedet hatte. Sie hatte die Hand vor den Mund geschlagen und kein Auge von Thomas gelassen, der ruhig in den Sattel stieg und seiner Mutter zulächelte, während dieser die Tränen in die Augen schossen.
Würde er Clara erneut Kummer zufügen müssen mit der Nachricht vom Tod ihres Bruders? Ihrer Mutter solch eine Botschaft zu überbringen haben wie Elisabeth?
Beklommen warf er einen Blick auf seinen Kampf- und Reisegefährten, der ganz in Gedanken versunken auf die nahe Küste starrte.
Thomas spürte, dass er gemustert wurde, und wollte nicht, dass Dietrich erriet, was in ihm vorging.
Deshalb sagte er: »Mit Eurer Erlaubnis werde ich mich um die Pferde kümmern.«
Sie alle hatten in den letzten Wochen in quälender Enge gelebt; mehrere hundert Männer und dazu Ziegen, Hühner und anderes Kleingetier, von den Ratten und sonstigem Ungeziefer ganz abgesehen. Doch für die Pferde war es besonders schlimm: Damit sie sich auf dem krängenden Schiff nicht verletzten, waren sie in den unteren Decks so an Gurten aufgehängt, dass ihre Hufe gerade noch den Boden berührten. Sie hatten keinerlei Auslauf. Und im Gegensatz zu den Männern, die darüber fluchten, dass sie eng wie Heringe in einem Fass nebeneinander schlafen mussten, mit den Füßen eines anderen im Gesicht, konnte man den Tieren nicht damit Trost spenden, dass dieser quälende Zustand bald ein Ende haben würde.
Dietrich hatte zwar keine Knappen mitgenommen, dafür aber seine edelsten und zuverlässigsten Pferde. Auch Drago stand im unteren Deck. Thomas und Wito, Raimunds bester Reitknecht, der mit ihnen reiste, verbrachten viel Zeit bei den Hengsten, um sie zu beruhigen und ihnen die Fesseln zu reiben, damit sich das Blut nicht dort staute.
Dietrich schüttelte seine düsteren Gedanken ab und stimmte Thomas’ Vorhaben zu. Es wurde ohnehin Zeit, sich auf die Ankunft vorzubereiten.
Doch bevor Thomas nach unten ging, platzte er heraus: »Ob sie jetzt wohl ein richtiges Hospital für unsere Landsleute in Akkon haben oder immer noch die Kranken unter dem Segel der Hanseleute behandeln?«
Überrascht sah Dietrich ihn an. »Die Bruderschaft besitzt jetzt ein Haus mit einer Kirche in der Nähe des Sankt-Nikolaus-Tores.«
»Und ob wohl der kleine Mönch noch dort ist? Bruder Notker, der Benediktiner?«
Im nächsten Augenblick bedauerte es Thomas, diesen Gedanken laut ausgesprochen zu haben. Rasch verneigte er sich und verschwand ohne ein weiteres Wort.
Dietrich blieb nicht lange allein. Kaum war Thomas verschwunden, trat sein Vetter Konrad neben ihn.
»Ich danke Gott und allen Heiligen, wenn wir endlich raus aus dieser schwankenden Nussschale können!«, stöhnte
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