Der Angriff
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WASHINGTON D.C.
Ein feiner Nebelschleier senkte sich von dem allmählich dunkler werdenden Frühlingshimmel herab, als die schwarze Limousine von der E-Street abbog. Mit einer Geschwindigkeit, die auf eine gewisse Dringlichkeit schließen ließ, schlängelte sich das gepanzerte Fahrzeug zwischen den Barrieren aus Beton und Stahl hindurch. Als die Limousine auf den West Executive Drive auffuhr, wurde sie kurz langsamer, bis sich das schwere schwarze Tor geöffnet hatte, um dann sofort wieder zu beschleunigen. Der Wagen fuhr durch mehrere Pfützen, ehe er vor dem Eingang zum Westflügel des Weißen Hauses abrupt anhielt.
Im nächsten Augenblick ging die hintere Tür auf und Dr. Irene Kennedy stieg aus dem Wagen. Sie trat unter das lange Vordach, das sich von dem Gebäude bis zum Randstein erstreckte, und hielt dann inne, damit ihr Chef zu ihr aufschließen konnte. Thomas Stansfield war langsam ausgestiegen und knöpfte das Jackett seines grauen Anzugs zu. Mit seinen neunundsiebzig Jahren war Stansfield in Geheimdienst-Kreisen fast so etwas wie eine lebende Legende. Seine Karriere hatte noch im Zweiten Weltkrieg beim OSS begonnen, dem Vorläufer der CIA. Vor fast sechzig Jahren war Stansfield einer von Wild Bill Donovans Rekruten gewesen – doch damals hatte man in einer ganz anderen Zeit mit ganz anderen Herausforderungen gelebt. Stansfields alte Gefährten waren längst von der Bildfläche verschwunden – sie waren im Ruhestand oder lebten nicht mehr, und es würde nicht mehr lange dauern, bis er selbst seinen Platz an den Schalthebeln der Macht in der umstrittenen und viel kritisierten Central Intelligence Agency für einen anderen freimachte.
Die CIA hatte sich während seiner Amtszeit stark verändert. Genauer gesagt waren die Bedrohungen andere geworden – und die CIA musste sich mit ihnen verändern. Die Tage, in denen sich zwei Supermächte gegenübergestanden hatten, waren vorbei; stattdessen hatte man es nun mit kleineren regionalen Konflikten und natürlich mit der ständig wachsenden Bedrohung durch den Terrorismus zu tun. Dies waren die Dinge, die Stansfield heute, wo seine Laufbahn sich ihrem Ende zuneigte, das größte Kopfzerbrechen bereiteten. Man konnte ganz einfach nicht ausschließen, dass Amerika eines Tages von einem Einzeltäter oder einer kleinen Gruppe angegriffen wurde, die biologische, chemische oder gar Atomwaffen einsetzte.
Stansfield blickte zum Himmel auf, der sich in der beginnenden Abenddämmerung verdunkelte. Der leichte Sprühnebel befeuchtete sein Gesicht, und der Direktor der CIA blinzelte kurz. Irgendetwas bedrückte ihn, auch wenn er nicht genau hätte sagen können, was es war. Stansfield sah noch einmal nach oben und trat dann unter das Vordach.
Irene Kennedy schritt durch die Doppeltür, die von zwei uniformierten Männern des Secret Service bewacht wurde, und ging den langen Flur entlang. Es war dies das Erdgeschoss im Westflügel des Weißen Hauses. Die Amtsräume des Präsidenten befanden sich im ersten Stock, doch die Sitzung würde nicht dort stattfinden. Irene Kennedy ging raschen Schrittes voraus, während Stansfield etwas gemächlicher nachfolgte.
Auf der rechten Seite des Flurs stand ein Offizier der US Navy in seiner makellosen schwarzen Uniform. »Guten Abend, Dr. Kennedy«, sagte er. »Es ist alles soweit. Die Generäle und der Präsident warten schon auf Sie.« Der Wachoffizier des White House Situation Room, des Besprechungszimmers, zeigte auf die Tür zu seiner Linken.
»Danke, Commander Hicks«, antwortete Dr. Kennedy, während sie an dem Marineoffizier vorüberging.
Sie stiegen mehrere Stufen nach unten, bogen dann rechts ab und kamen zu einer Sicherheitstür, über der eine Kamera installiert war. Zur Linken war ein schwarz-goldenes Schild mit der Aufschrift »White House Situation Room: Restricted Access« angebracht.
Das Türschloss öffnete sich mit einem summenden Geräusch, und Irene Kennedy drückte die Tür auf. Sie trat ein und wandte sich nach links, wo sich der neue Konferenzraum befand. Direktor Stansfield folgte ihr, und Commander Hicks schloss die schalldichte Tür hinter ihnen.
Präsident Robert Hayes im Smoking, stand am anderen Ende des Raumes und hörte den beiden Männern vor ihm aufmerksam zu. Einer der beiden war General Flood, der Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff, der Vereinigten Stabschefs. Flood war einsneunzig groß und ca. 130 Kilo schwer. Der andere, General Campbell, war fast einen Kopf kleiner und gut
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