Der Traum des Teufels
hatte. Sybille musterte den schlanken, hochgewachsenen Studenten eingehend, so als könnte sie es erraten. Jason erwiderte ihren Blick. "Du bist also ein Seher?"
Er nickte. "Ich habe mir den Job allerdings nicht ausgesucht", grinste er.
Sybille blieb dagegen ernst. "Es hat lange keine Seher mehr gegeben, die in unsere Reihen vordringen konnten. Du musst wirklich etwas besonderes sein, wenn du keinerlei Angst verspürst."
"Oh, die hatte ich", gab Jason unverwandt zu. "Und frag nicht, wie."
"Dann hattest du wohl einen guten Lehrer", lächelte Sybille und schaute zu dem Atlanter hinüber. Dieser verabschiedete sich schnell. "Ich sehe nach Valentina. Wenn ich zurück bin, reden wir weiter."
* * *
Die junge blonde Hybridin war immer noch mitten in ihrer Arbeit. Im Gegensatz zu Menschen konnten die Vampire ohne Schlaf- und Essenspausen auskommen. Leander hatte ihr einige Vorräte an künstlichem Blut in einer Kühlbox dagelassen, doch diese waren aufgebraucht. Trotzdem hielt die junge Frau durch. Leander bewunderte ihr Vertrauen und ihren Fleiß, als er sich bemerkbar machte. Sie lächelte und zeigte ihm stolz ihre Resultate auf dem Laptop, dessen Akku bereits kurz vor dem Aufgeben war. Über tausend Urnen hatte sie bereits identifiziert.
"Gute Arbeit", lobte der Halbengel sie. "Wir werten die Daten zuhause aus."
"Wie wäre es denn mit einer Zwischenmahlzeit und ein wenig Unterhaltung?", schlug Valentina vor. Enttäuscht bemerkte sie, dass er ihr nichts für ihren Durst mitgebracht hatte.
"Ich bin eigentlich nur gekommen, um dich aus diesem Gefängnis zu erlösen", lächelte der Halbengel. "Tut mir leid, wenn wir dich hier sozusagen "abgestellt" haben." Dass sie hier eventuell in Gefahr sein könnte, erwähnte er lieber nicht.
"Kein Problem. Die Arbeit hat mir einige Einblicke in unsere Vergangenheit gegeben. Sie war sehr interessant, wenn auch irgendwie ... deprimierend."
Leander lachte. "Das glaube ich gerne. Ich nehme dich jetzt erstmal mit zurück in die Zivilisation . Vielleicht könntest du später mit etwas Hilfe weitermachen?" Insgeheim dachte er daran, dass Miles sie eventuell gerne dabei unterstützen würde.
"Klar, sind ja nur noch ein paar hundert Stück", untertrieb sie lächelnd mit einem Blick auf die deckenhohen Nischen voller alter Grabgefäße. Sie packte trotzdem ihre drei kleinen Computer zusammen. Einer der Akkus hatte bereits den Geist aufgegeben. Hier unten gab es schließlich keinen Strom. Daher hatte sie zusätzlich eine Liste auf Papier angelegt.
Leander reichte ihr die Hand, die sie gerne ergriff. Sie war froh, endlich wieder an die Oberfläche zu kommen. Nach wenigen Minuten waren sie bereits in Berlin. Miles freute sich, Valentina wiederzusehen, und auch die anderen Jungs begrüßten sie herzlich. Sybille blickte sie eher abschätzend an, beschloss aber dann, dass ihr von dieser Frau keine Gefahr drohte. Sie schien sich eher zu dem kräftigen Schotten hingezogen zu fühlen. Daher hieß sie Valentina ebenfalls willkommen. Sie ließen sich im Salon nieder und unterrichteten sich gegenseitig von ihren Abenteuern.
Valentina war geschockt, dass wieder einer der ihren in der Gewalt eines Fürsten war, doch Leander klärte sie über die Herkunft von Chyriel auf. "Er ist ein Zwischenwesen. Ein Teil von ihm ist immer noch engelhafter Natur."
"Also kommt er dir doch wohl am nächsten", meinte Weston.
"Nicht ganz. Er wurde gewandelt. Ich habe... Jasons Blut freiwillig getrunken. Das hat mich wohl vor der dunklen Seite bewahrt."
"Und dir ein paar hübsche neue Eckzähne geschenkt", murmelte Shane. Der Schalk blitzte wieder in seinen Augen.
Leander räusperte sich. "Ich gebe zu, diese Nebenwirkung hatte ich nicht bedacht."
"Hey, wie sieht es denn mit deinen Nebenwirkungen aus?", frotzelte jetzt Miles. "Schon mal wieder versucht, dich in eine Krähe zu verwandeln?"
"Danke, ich komme auch so zurecht", Shane tat beleidigt.
Sie lachten, doch es klang nicht wirklich fröhlich. Alle - Shane vielleicht ausgenommen - machten sich Sorgen um den jungen Vampirfürsten. Jason hatte bislang bei der ganzen Unterhaltung geschwiegen. Mittlerweile war es früher Nachmittag, doch Jason war der einzige, der in diesem Hause die Küche für eine Mahlzeit genutzt hatte. Es war immer noch ein seltsames Gefühl, den Kühlschrank zwischen seinen Lebensmitteln und den Frischhaltebeuteln mit der Blutmasse für die Hybriden aufzuteilen. Aber nach einer Tiefkühlpizza fühlte er sich gestärkt und
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