Der Traumkicker - Roman
kommentierte und bei den hitzigen Feierabendbolzereien für Stimmung sorgte.
Der Mann war ein Virtuose am Ball.
Er führte ihn gekonnt mit beiden Füßen, mit dem Kopf, den Schultern, der Brust, den Knien; in feinster Technikermanier nahm er ihn mit der Hacke, dem Spann, dem Außenrist; er kickte ihn auf den Kopf, hielt ihn ruhig auf der Stirn, ging mit ihm in die Hocke, rollte ihn sich über den Nacken, warf sich bäuchlings auf den Boden; durch ein raupenhaftes Aufbäumen ließ er ihn den Rücken hinabrollen, hievte ihn mit einem kurzen Bocken zurück in seinen Nacken, kam dann wieder hoch und balancierte ihn dabei auf der Stirn wie eine schlafende Taube. »Wie ein runder nekrotischer Leistenbruch!«, sollte Cachimoco Farfán später kommentieren, der während seines Medizinstudiums plemplem geworden war und seine Sportreportagen daher mit medizinischen Fachausdrücken anreicherte. Und diesen gesamten erstaunlichen Zauber vollführte der Mann mit bühnenreifer Grazie und Nonchalance, ohne dass der Ball ein einziges Mal zu Boden gefallen oder sich auch nur einen Zoll aus der Umlaufbahn seines Körpers bewegt hätte. »Als hätte dieses Papillomgesicht ihn mit einem Schnürchen angebunden, liebe Hörer an den Radiogeräten, als wäre der Ball lebendig, verehrte Patienten, ein dressierter, trainierter, ein hypnotisierter Ball!«
Sein Gesicht war schweißnass (wie wir nun begriffen, sollte das Araukaner-Stirnband verhindern, dass ihm das Wasser in die Augen rann), und der Mann schnaufte nach beendeter Nummer wie ein abgekämpfter Stier, klemmte sich den Ball unter den Arm, verneigte sich ölig erst in eine, dann mit großer Theatralik in alle vier Himmelsrichtungen. Die Frau, die ihn die ganze Zeit mit abwesendem Blick angeschaut und dabei Kaugummiblasen produziert hatte, die ebenso traumverloren wirkten wie sie selbst, erhob sich und tupfte ihm das Gesicht mit dem Seidentuch ab, das sie um den Hals trug.
Wir nutzten diesen Moment, traten heran, sahen uns die Fotos auf dem Pappkarton an und lasen begierig, was in den Zeitungsartikeln stand.
Viel stand eigentlich nicht drin. Der Tenor war fast immer derselbe. Der Mann, den sie »Traumkicker am Ball« nannten, hieß Expedito González; er stammte aus der Stadt Temuco, war als Gast in ein paar Fernsehsendungen aufgetreten und jetzt auf Tournee durch den Norden des Landes, wo er »die Menschen mit seinen außerordentlichen Fähigkeiten in Entzücken versetzt«. Einige schon angegilbte Artikel stammten aus Zeitungen der Hauptstadt und andere aus den Städten und Dörfern, durch die er gekommen war. Von dem halben Dutzend Fotos fesselten zwei unsere Aufmerksamkeit besonders und überzeugten uns davon, dass der Sportskamerad, den wir da vor uns hatten, ein Profi sein musste. Auf einem sah man ihn auf der Aschenbahn im ausverkauften Nationalstadion in Santiago den Ball mit dem Kopf nehmen, das andere zeigte ihn hockend zwischen Chamaco Valdés und Carlitos Caszely. Nationalspieler immerhin.
Und es war Pata Pata, der hinkende Vertreter der Arbeitergewerkschaft, der schließlich aussprach, was wiralle dachten: dass uns dieser Grindkopf (so nannte er jeden) durch den Kamin in den Schoß gerauscht war, wir mit ihm als Mittelstürmer den Staubfressern am nächsten Sonntag den Arsch aufreißen könnten.
Don Celestino Rojas wiederum, frömmelnder und ewiger Präsident unserer Fußballvereinigung, war in andächtiger Verzückung erstarrt und murmelte, ja betete fast, der Traumkicker mit dem weißen Ball sei im Wortsinn unser Retter, so etwas wie ein Gesandter Gottes oder, wie er sich ausdrückte:
»Der Mann ist der Messias.«
Die Ärsche aus María Elena heißen bei uns Staubfresser, weil dort die Mühlen für den Rohsalpeter stehen und sie deshalb dazu verdammt sind, Tag und Nacht den fiesen Staub zu atmen und zu schlucken, der als dichter, schmutziger Nebel ihre Häuser und ihre Habe einhüllt. Weil auf unserem Gebiet der Friedhof liegt (auf dem auch sie ihre Toten bestatten), nennen sie uns im Gegenzug Aasfresser. Und die Rivalität zwischen Staubfressern und Aasfressern, mein Lieber, die ist Legende hier draußen. Und das war sie schon immer, schon als María Elena (alias »María die Eingestaubte«) noch Coya Norte hieß, also bevor einer von den nordamerikanischen Verwaltern in einem postumen Akt der Liebe und Huldigung die Siedlung zu Ehren seiner Ehefrau Mary Helen umbenannte, die bei einem tragischen Unfall in der Blüte ihrer Jahre ihr Leben verloren hatte.
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