Der Traumkicker - Roman
Wahrscheinlich sollten wir (weil das sowieso niemand leugnen will) gleich klarstellen, dass María Elena in fast allen Belangen bedeutender ist als Coya Sur, dort befinden sich die Häuser von allen hohen Tiere der Minengesellschaft, die Büros der öffentlichen Verwaltung und die weiterführende Schule und die Bank und das Gemeindezentrum. Und unsere Kinder sind neidisch, weil die wenigen Zirkustrupps aus der Hauptstadt, die einmal im Jahr auf der Flucht vor den Regenfällen im Süden durch die trockenen nördlichen Lande ziehen, ihre bunten Zelte und die Käfige mit den dressierten Tieren natürlich dort aufbauen. Uns dagegen, mein lieber Freund, ärgert am meisten, dass von den Huren, die zum Arbeiten aus den nahen Häfen in die Wüste kommen, die am schönsten angemalten und parfümierten dorthin gehen. Trotzdem und dessen ungeachtet können wir mit berechtigtem Stolz behaupten, dass Coya Sur die schönste Siedlung in der Wüste und darüber hinaus ist. Worauf wir uns auch richtig was einbilden. Man findet nämlich zum Beispiel in keiner anderen Salpetersiedlung einen Uhrturm wie bei uns auf dem Minenladen, mit einer orientalisch anmutenden Kuppel, die einen an die Abenteuer von Sindbad dem Seefahrer erinnert und an Orte mit so exotischen Namen wie Istanbul oder Bagdad, ferne, wundersame Städte, die wir nur aus dem Kino, aus Filmen mit Wunderlampen und fliegenden Teppichen kennen. Was uns aber besonders an unserer Uhr gefällt und uns so mächtig stolz macht, ist, dass sie damals (neunzehnhundertelf direkt aus England importiert) durch öffentliche Sammlung angeschafft wurde. Nur um das hier noch mal klar und deutlich zu sagen: Unsere Uhr ist von dem Geld aus den Taschen der Coya-Bewohner gekauft undbezahlt worden. Jawoll. Zwar ist bei uns alles ein bisschen kleiner (wir haben eine kleine Bücherei, eine kleine Kirche, ein kleines Kino), aber dafür gestatten wir uns einen Luxus, den man in dieser Ödnis hier draußen gar nicht hoch genug schätzen kann: Wir haben zwei Plätze, die Plaza Cuadrada mit dem Kinderspielplatz (und einer betagten Riesenschildkröte, auf deren Panzer die Kinder jauchzend reiten) und die schattige Plaza Redonda mit ihren Pfefferbäumen und Algarroben (den einzigen Bäumen, die in der Gegend gedeihen) und mit dem Musikpavillon in der Mitte, dem besten Plätzchen für Verliebte jeglicher Neigung, Altersstufe und Couleur. Außerdem ist hier die Fabrik für Eisblöcke und Eis am Stiel, die einzige im gesamten Zentralbezirk und Zulieferer sämtlicher Siedlungen im Umkreis. Wer also in dieser »ausgebrannten Weite«, wie die Dichter sagen, mal einen anständigen Eisblock anfassen möchte, muss zwangsläufig nach Coya Sur kommen. Und ebenfalls herkommen sollte, wer die rund ums Jahr vorgesehenen Festtage zünftig begehen will. Weil nämlich auf der Tanzfläche in unserm Rancho Grande mehr los ist als irgendwo sonst hier draußen. Und das behaupten wir nicht bloß. Von wegen! Das wird zu jedem Silvesterfest, Nationalfeiertag und Ersten Mai unbestreitbar bewiesen durch die Menschenmassen, die mit Kind und Kegel aus den umliegenden Salpetersiedlungen anreisen, um bei uns zu zechen und zu schwofen. Aber damit Sie sich ein besseres Bild davon machen können, wie’s bei uns zugeht, sei auch gesagt, dass wir uns mit den Staubfressern sogar wegen der Feste am Ende in die Haare kriegen.Weil die Rivalität mit der Zeit nämlich zugenommen hat und es nicht mehr bloß um Sport geht (Fußball, Basketball, Zielwurf, Boxen, Domino), sondern um alles, bei dem man gegeneinander antreten und irgendwelche Trophäen einstreichen kann, egal ob Sängerwettstreit oder Paraden durch die Siedlung oder Krönung der Frühlingskönigin. Und einerlei ob Arbeit, Schule, Freizeit oder Gewerkschaft. Aber zudem, mein Lieber, hat die Konkurrenz zwischen den beiden Siedlungen in jüngster Zeit sogar so persönliche und intime Fragen wie die Liebe erreicht. Und da sind die Feindseligkeiten dann fast schon in Totschlag gemündet. Jedenfalls sind Handgreiflichkeiten wegen Amors Giftpfeilen in María Elena und bei uns an der Tagesordnung. Wenn einer von unseren Romeos dabei erwischt wird, wie er einer der Julias in María Elena nachsteigt, dann wird er windelweich geprügelt und unter einem Hagel von Steinen in die Wüste gejagt. Als Revanche und Wiedergutmachung für die erfahrene Kränkung droht dann jedem Jungspund aus María Elena, der das Pech hat, bei uns auf Freiers Füßen ertappt zu werden, dasselbe Schicksal. Was den
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