Krieger des Lichts - Palmer, P: Krieger des Lichts
Prolog
Die schottischen Highlands, 1433
»Die Schutzwälle, Mystikerin! Errichte die Schutzwälle!« Die Stimme des Anführers der therianischen Enklave hallte durch die von Feuern erhellte Höhle. Sie hatte einen schroffen und verzweifelten Tonfall angenommen, als er nach dem ersten Drader stach, der sich auf ihn stürzte. »Du musst die Schutzwälle errichten!«
Von den Kochstellen stieg Rauch auf – wie Geisterhände, die nach Decke und Wänden griffen, sich drehten und wanden im Gewirr der aufgeregten Therianer.
»Ich versuche es ja!«, rief die Mystikerin Isobel. »Aber ich erinnere mich nicht mehr an das Lied. Die Zauberer haben mir das Lied genommen.« Ihre Stimme brach, Tränen strömten über ihre Wangen, obwohl sie weiterhin die Arme schwang und mit den Händen die Bewegungen vollführte, die mit der Beschwörung des magischen Schutzschilds einhergingen, der sie vor den Dradern schützte – den Dradern, die sich von der Lebenskraft der Therianer ernährten.
Olivia drängte sich dichter an ihre Mutter und spürte, wie der Griff ihres Armes um ihre Schultern fester wurde. Sie schaute auf und sah, dass die Lippen ihrer Mutter zitterten und ihre Augen im Feuerschein schimmerten.
»Mama?«
»Schsch, Olivia.« Ihre Mutter zog sie fest in ihre Arme und drückte Olivias Gesicht an ihren Leib. »Alles wird gut, meine Kleine.« Aber in der Stimme ihrer Mutter schwang eine Furcht mit, die Olivia noch nie vernommen hatte, und auch ihr stiegen Tränen in die Augen, während ihr Herz anfing zu rasen.
»Ich habe das Lied verloren! Ich habe das Lied verloren!« Isobels tränenersticktes Wehklagen hallte durch die Höhle.
»Diese paar sind erst der Anfang!«, rief der Anführer der Enklave, Jamie. »Wappnet euch. So nah bei der Burg der Krieger des Lichts werden es ganze Schwärme von Dradern sein. Die Göttin stehe uns bei. Hätte ich geahnt, dass die Zauberer Isobel verwünscht haben, wären wir in eine andere Richtung geflohen.« In seinen Worten schwangen so viel Angst und Qual mit, dass Olivia anfing zu zittern. »Uns bleibt keine andere Wahl, als zu kämpfen.«
Ihre Mutter packte Olivia bei den Schultern und riss sie herum, während sie sich vor sie kniete. Die Tränen strömten nun ungehindert über Mamas hübsches Gesicht, als sie eine Hand hob und Olivias Wange streichelte.
»Ich liebe dich, meine Süße. Mehr als eine Mutter je ihre Tochter geliebt hat. Ich liebe dich.« Unverhüllter Gram verdunkelte den Blick ihrer Mutter.
Ein Schluchzen stieg in Olivias Kehle auf. »Mama.«
Der Griff der Hände, die auf ihren Schultern lagen, verstärkte sich. »Die Drader werden schon bald über uns herfallen. Ich werde gegen sie kämpfen und dich so lange, wie ich kann, beschützen. Aber wenn sie in Schwärmen kommen, wie Jamie befürchtet, bleibt mir nichts anderes mehr, als dich mit meinem Körper zu bedecken. Du wirst unter mir liegen bleiben, ja?« Sie schüttelte Olivia leicht. »Du wirst unter mir liegen bleiben, egal was passiert! Egal was.«
»Ja, Mama.«
Das Gesicht ihrer Mutter löste sich in Tränen auf, und sie zog Olivia noch einmal stürmisch an sich. »Oh, meine süße Kleine.«
Die Zauberer hatten ihr Dorf am heutigen Morgen angegriffen. In ihrer Erinnerung sah Olivia die Feuer immer noch brennen. Jamie hatte die Therianer im Laufschritt in die Berge geführt, um sie alle unter die Obhut derer zu stellen, die ihre Rasse schützten … die Krieger des Lichts. Aber die Burg der Krieger des Lichts lag mehr als eine Tagesreise entfernt, und die Drader hatten mit Einbruch der Dunkelheit angefangen, Jagd auf die Therianer zu machen. Eigentlich hätte Isobel in der Lage sein müssen, die Höhle mit ihren magischen Fähigkeiten zu einer sicheren Zuflucht zu machen. Eigentlich hätten sie dort in Sicherheit sein müssen …
Wenn doch nur ihr Vater da gewesen wäre. Vor mehreren Tagen hatte er sich wegen irgendeiner Angelegenheit auf den Weg zu den Kriegern des Lichts gemacht und war noch nicht zurückgekehrt. Wäre er hier, hätte er sie gerettet.
Ein Schrei durchbrach die lastende Stille und dann noch einer.
Mama drehte sie um und stellte sie mit dem Rücken gegen sich, während sie sich über sie beugte und ein Messer aus ihrem Stiefel zog. Olivias Blick ging durch die Höhle, und Entsetzen erfasste ihr Herz bei dem Anblick, der sich ihr bot. Wie eine dunkle Wolke schwärmten Drader in die Höhle … so viele. Sie hatte gar nicht gewusst, dass es so viele davon gab. Es waren mehr, als sie zählen
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