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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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einer nahenden Katastrophe?
    Meine Recherchen ergaben, daß Jakobsen bei einem früheren Vorfall mit äußerster Souveränität gehandelt und einige fulminante Notoperationen hingelegt hatte. Seine Bewertung durch die Gesellschaft war die allerbeste. Allerdings stieß ich in den Unterlagen, die ich einsah, auf einige Widersprüche, die den Verdacht zuließen, die Anstellung Dr. Jakobsens sei erst nach besagter Heldentat erfolgt. Ein Umstand, den mir niemand erklären konnte oder wollte. Auch änderte sich nun das Verhalten der Gesellschaft. Sie beendete jegliche Kooperation und verwies mich auf ihre Anwälte, junge Leute ohne Respekt, die einem das Gesetz, das man doch selbst vertritt, um die Ohren zu werfen pflegen.
    Freilich nahm ich mir dennoch ein paar Leute vor und erfuhr, was ich zunächst nicht glauben konnte, daß Dr. Jakobsen im Moment seiner hochgelobten Handlungsweise nicht als Arzt, sondern als Koch auf Barbara’s Island tätig gewesen war, in einer Position, die nach ihm jene Finnin einnahm. Das fand ich doch mehr als erstaunlich. Wozu Köche in der Lage sind. Wobei es im ersten Moment schien, als sei Jakobsen bis zu seiner Bestellung als Chefarzt einfach ein Mediziner auf gastronomischen Abwegen gewesen. Bei genauerer Nachforschung aber fand ich heraus, daß ein Arzt mit diesem Namen und dieser Biographie zwar einstmals praktiziert hatte, aber bereits neunzehnneunundachtzig verstorben war. Derartiges geschieht. Wir wissen beide, wie häufig untergetauchte Flüchtige die Existenz anderer Personen, lebender wie toter annehmen. Es ist immer zielführender, sich in eine reale als eine fiktive Hülle einzufügen.
    Jetzt stellte sich die Frage, wer dieser Arzt war, wenn nicht Jakobsen. Wobei ich überzeugt war, daß wir trotz allem von einem gelernten Mediziner ausgehen mußten, zu perfekt war dieser Mann vorgegangen. Auch vermutete ich, daß zwischen ihm und Reisiger eine Verbindung bestand, die über das Offenkundige hinauswies. Gerne hätte ich damals mit Ihnen, Herr Marcuse, gesprochen. Ich erkannte klar den Deutschland-Aspekt dieser ganzen Angelegenheit und wie der Fall über die Lichfieldsche Dimension hinausführte. Leider waren mir zu dieser Zeit bereits die Hände gebunden. Die Ölgesellschaft hatte meine Zudringlichkeit als unkanadisch erklärt und sich an übergeordnete Stellen gewandt, die sich lieber an der Empfindlichkeit der Privatwirtschaft als den Pflichten der Polizei orientieren. Jedenfalls trat man mir auf die Füße. Wie ich schon sagte, ich registriere wohl den Schmerz, der aus solcher Treterei resultiert. Immerhin beließ man mir unter Auflagen den Fall Lichfield, welcher die Rätselhaftigkeit des Falles Jakobsen einschloß. Darum war auch ich es, der nach Grönland gerufen wurde. Im Eis der Ostküste, zweihundert Kilometer südlich einer Ansiedlung namens Isortoq, war das Rettungsboot entdeckt worden. Mehr wollte man mir nicht mitteilen. Ich sollte mir die Sache selbst ansehen. Ich war angehalten, mich zu beeilen, solange alles so blieb, wie man es vorgefunden hatte. Wobei die Grönländer mich baten, den Wind um die Sache gering zu halten.
    Man darf nicht vergessen, Kanada und Grönland sind Nachbarn, aber durch Wasser getrennte Nachbarn, wie etwa Engländer und Franzosen. Das Wasser bewirkt alles andere, als daß es einen verbindet. Ganz im Gegenteil. Die grönländischen Beamten zeigten wenig Bedürfnis, eine Horde ehrgeiziger Nordamerikaner über eine ihrer Eisflächen trampeln zu lassen. Sie scheinen ihre Eisflächen in etwa so zu betrachten wie man dies anderswo mit empfindlichen Teppichböden tut. Nun, es ist ihr Eis, und sie entscheiden, wen sie auf dieses Eis lassen. Weshalb ich entgegen der Gepflogenheiten die Reise ohne mein Team, ohne einen einzigen Assistenten unternehmen mußte.
    Der Mann, der mich in Nuuk empfing, ein gebürtiger Däne, der nicht gerade die Gesprächigkeit erfunden hatte, führte mich zu einem Hubschrauber, mit dem wir quer durchs Landesinnere flogen, um an der vereisten Ostküste zu landen. Das grellfarbene Rettungsboot war bereits aus der Ferne zu erkennen. Wir hatten einen schönen Tag, einen Polizeitag, möchte ich sagen. Um das Boot herum standen eine Menge Leute mit Hunden und Schlitten. Man zeigte mir das Innere des Bootes, das eher einer Raumkapsel entsprach. Es war leer. Genau das sagte ich auch, daß es leer sei. Mein Begleiter nickte und führte mich an eine nicht unweit gelegene Stelle im Eis, an der ein Mann lag. Ich erkannte ihn mittels

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