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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Sie zu, daß man mir recht bald eine Flasche Gin herunterwirft. Das würde ich dann eine rechte Rettung nennen.«
    »Versprochen«, sagte Siem Bobeck in einem wehmütigen Ton, als rühre ihn Reisigers Alkoholismus. Ganz klar, Bobeck, dieses ehemalige Modehausgenie, wurde alt und älter. Nicht gerade der beste Moment, um eine Eiswüste zu bewältigen.
    Das Geschwisterpaar marschierte davon, schwerfällig, sich gegen die Windrichtung stemmend, wie vom ersten Moment an erledigt. Regina sei bei ihnen!
    Die Einsamkeit ist eine schöne Sache, sagt Balzac, aber man braucht einen, sagt er weiter, der einem sagt, die Einsamkeit ist eine schöne Sache. Das fand auch Reisiger. Die großartigste Verlassenheit noch fordert ein Gegenüber, zumindest ein Tier, dem man sagen kann, wie wohl man sich fühlt. Ein Tier kann so tun, als würde es einen verstehen. Ein Computer hingegen … Reisiger setzte geringe Erwartungen in diese Maschine und jenen Dämon, der in ihr stecken mochte. Während dagegen der Dämon in seiner Flasche Bols ein freundlicher, kleiner Herr mit ausgezeichneten Manieren war, der allerdings zu allem vornehm schwieg und am Boden der Flasche angelangt es vorziehen würde, den Ort zu wechseln.
    Jedenfalls schaltete Reisiger den Computer an, nicht mittels Handzeichen, sondern dank einer konventionellen Tastatur, die es hier ja ebenfalls gab und welche in die aufklappbare Lehne der Sitzbank eingelassen war, über Maus und Mikro verfügte und sich auch nahe genug am Bildschirm befand, um eine sinnvolle Arbeit zu ermöglichen.
    Mit der Inbetriebnahme schloß sich automatisch die Türe und es setzten Durchlüftung und Heizung ein. Eine Heizung, die erwartungsgemäß eine bloß kleinflammige Erwärmung des Raumes gewährleistete. Reisiger fühlte sich wie im Vorzimmer einer Altbauwohnung.
    Ohne daß er dem Computer eine Frage gestellt hatte, begann dieser – noch immer tonlos, allein durch Bilder und Daten sprechend –, Informationen über den gesamten lateinamerikanischen Raum zu übertragen.
    Es kam, wie es kommen mußte. Irgendwann krepierte die Tomate. Glücklicherweise kündigte sich dieser Umstand mittels eines alarmierenden Symbols an, das aus einem unmißverständlich blinkenden Schrägkreuz bestand, welches ein kleines Notenblatt ausstrich, was ja wohl bedeuten mußte, daß demnächst die Musik verklingen würde. Natürlich hätte dies für noch ein paar andere Sachen stehen können. Aber Reisiger lag schon richtig. Und weil auch ihm widerstrebte, in ein solches Rettungsboot wie in einen Sarg gesperrt zu sein, gab er mittels Zeichensprache Anordnung, die Ausgangsluke zu entriegeln und ein Stück weit zu öffnen. Der eisige Wind trieb herein und vertrieb den Rest von Wärme.
    Wie um dem Computer ein letztes, ein gesprochenes Wort zuzugestehen, drehte Reisiger den Ton an. Die leicht süßliche Damenfernsehstimme, die, bevor Bobeck sie außer Betrieb genommen hatte, eine englische gewesen war, meldete sich nun auf Spanisch. Vielleicht aber war es Portugiesisch. Nicht einmal das hätte Reisiger sagen können. Er verstand kein Wort.
    Wenn nun tatsächlich ein Dämon in dieser Maschine einsaß, dann bedeutete es eine besondere Perfidie, Reisiger eine abschließende Botschaft zukommen zu lassen, die er aus dem einfachsten aller Gründe nicht imstande war zu entschlüsseln. Selbst der spöttischste Kommentar wäre humaner gewesen, wäre er in einer Reisiger verständlichen Sprache erfolgt. So aber verabschiedete sich der Computer mittels eines Wortgewitters, in dessen Zentrum stehend Reisiger die Blitze vom Donner, den Regen vom Wind nicht auseinanderzuhalten vermochte.
    Mit einem finalen Kreuz, das sich nun über die gesamte Fläche beider Bildschirme erstreckte und das mit seinen zwei Querbalken ein erzbischöfliches Signum zitierte, erloschen die Monitore und erstarb jegliche Einrichtung dieser Kapsel. Sie versteinerte im wahrsten Sinn. Reisiger wäre es jetzt nicht einmal mehr möglich gewesen, einen der kleinen Behältnisse zu öffnen, um an den Rest von Nahrung, an Werkzeug und seinen Überlebensanzug zu gelangen. Was er freilich längst unternommen hatte.
    Auf die Nahrung jedoch kam es nicht mehr an. Reisiger war ja schon zuvor kaum noch in der Lage gewesen, außer Wasser und dem tröpfchenweise konsumierten Gin etwas zu sich zu nehmen. Hin und wieder einen Keks, der nach Algen schmeckte und vor dem ihm grauste. Nicht vor dem Algengeschmack, sondern vor der staubigen, gleichzeitig harten wie bröckeligen

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