Der unbeugsame Papagei
bekämpfen.“
Direktor Limonow erinnerte in seiner Größe und seinen langsamen Bewegungen an einen Bären. Gekleidet war er stets gleich: in dunkelgrüne Hosen und eine braune Lederjacke. Wenn er in seinem Büro saß, dann trug er die Jacke aufgeknöpft, und wenn er hinausging, knöpfte er sie zu.
Am Ende ihres kurzen Gespräches händigte er den Kontrolleuren je eine Kopie der Anweisungen zur Arbeitssicherheit in den Spirituswerken der Ud SSR aus.
„Lesen Sie sie durch und behalten Sie sie im Kopf, besser noch, schreiben Sie sie ab!“, sagte er. „Und bei jedem Ver-stoß – hart dran nehmen! Absolut egal, wer den Verstoß begeht, ob Putzfrau oder Werksleiter. Verstanden?“
Die abendliche Stadt leuchtete in den blauen Himmel hinein, und man glaubte gar nicht, dass es bereits tiefer Herbst war.
So hatte für sie das Leben und die Arbeit in Krasnoretschensk begonnen.
Darauf kam der Winter, und Dobrynin kaufte sich von dem ersten Lohn einen Mantel mit Persianerkragen. Vielleicht hätte er sich selbst diesen Mantel auch gar nicht gekauft, wäre nicht zufällig der Tag ihres Lohnempfangs mit dem Eintreffen des Warenzuges der Arbeiterversorgung zusammengefallen. Und Waplachow, der es mochte, sich gut und warm zu kleiden, hatte Pawel Dobrynin schon lange damit in den Ohren gelegen, dass der Mensch umso mehr geachtet werde je besser er sich kleide. Und Dobrynin liebte ja die Anerkennung und wusste, dass er sie verdiente.
Tatsächlich achteten die Angestellten der Spiritusfabrik die Volkskontrolleure bereits, so schien es, und manche hatte sogar ein wenig Angst vor ihnen. Denn Dobrynin und Waplachow ließen keinem, der Disziplin und Vorschrift verletzte, etwas durchgehen. Und erwischten sie gar einmal einen mit einer Papirossa im Mund auf dem Fabriksgelände, dann ging das für denjenigen schlecht aus. Wohl fünf Mann waren bereits entlassen worden, und wie viele um ihre Prämien und Urkunden kamen, war schwer nachzurechnen.
An Sonntagen gingen die Volkskontrolleure ins Kino oder in den Klub. Einmal begaben sie sich sogar zum Tanzen, doch da sie nicht tanzen konnten, schauten sie natürlich diesem Fest einfach zu und verspürten gutmütigen Neid auf die neue sowjetische Jugend.
Der Frühling kam näher. Der Plan wurde ständig übererfüllt. Die Disziplin wurde zuverlässig aufrechterhalten, und deshalb herrschte Ordnung in der Fabrik.
Auch in der Wohnung der Volkskontrolleure herrschte Ordnung. Außer der häuslichen Ordnung, für die Waplachow verantwortlich war, gab es dort auch eine politische. Als Dobrynin mit einem Mal spürte, wie stabil ihr Leben geworden war, bestellte er beim Tischler der Fabrik Bücherregale, und als die Regale fertig waren, begann er Bücher zu kaufen. Samstags führte Dobrynin für seinen alten Freund Waplachow nach der Arbeit Politunterricht duch, der jedes Mal mit dem Vorlesen einer neuen Erzählung aus dem dritten Buch über Lenin endete.
Ein paar Mal schaute auch der Direktor der Spiritusfabrik, Limonow, bei ihnen herein. Gern erzählte er ihnen von seinen Lebenserfahrungen in der Polarregion, und danach lauschte er Dobrynins Erzählungen von den Schwierigkeiten, die sie selbst durchgemacht hatten. Waplachow schwieg für gewöhnlich und fügte nur hier und da Einzelheiten zu Dobrynins Erzählungen hinzu, die der wohl vergessen hatte.
Ein gewöhnliches, ruhiges Arbeitsleben nahm seinen Lauf. Nachdem sie sich vollauf an die neuen Bedingungen angepasst hatten, übernahmen Dobrynin und Waplachow nicht nur die Kontrolle der Disziplin, sondern auch die einiger besonders wichtiger Produktionsabläufe, namentlich des wöchentlichen Umfüllens von Spiritus aus gewaltigen, fünf Meter tiefen Stahlbottichen in Zisternenwagen, die auf Gleisen direkt auf das Gelände der Fabrik rollten. Vor der Ankunft der Kontrolleure in der Fabrik gingen bei diesem Umfüllen im Allgemeinen bis zu zweihundert Liter Spiritus verloren und wurden über Erde und Asphalt verschüttet, doch kaum waren Dobrynin und Waplachow erschienen, trat auch hier vollständige Ordnung ein, und den jetzt noch verschütteten Spiritus konnte man tropfenweise zählen.
Es kam die Zeit, als die Kontrolleure sich für die Tafel der Ehre fotografieren lassen mussten. Der Fotograf kam direkt in die Spiritusfabrik. Gemeinsam mit ihm traf ein Korrespondent der örtlichen Zeitung ein. Den Korrespondenten kannten Dobrynin und Waplachow bereits, er hatte mehrmals kleine Artikel über ihre Arbeit geschrieben. Nach einem kurzen
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