Flucht nach Colorado
PROLOG
25. Juli, Aspen, Colorado
Jordan Shane erwachte mit einem Frösteln. Im Gästezimmer seiner Frau war es so kalt wie in einem Leichenschauhaus. Das Federbett auf seinen Beinen fühlte sich klamm und schwer an, fast wie eine Schneedecke. Hier in den Bergen hatte er ständig den Eindruck, er stünde kurz vor dem Erfrieren, selbst jetzt, mitten im Sommer.
Ein gleißender Lichtstrahl zerschnitt die Dunkelheit. Seine Zimmertür war nur angelehnt.
Es musste etwa Mitternacht sein.
„Lynette?" Leise rief er den Namen seiner Frau, die eigentlich keinen Grund hatte, nachts zu ihm zu kommen. Seit elf Monaten teilten sie das Bett nicht mehr miteinander, lebten nicht im selben Haus. Meistens hielten sie sich nicht einmal auf demselben Breitengrad auf, Jordans Haus und seine Firma befanden sich im Sonnenstaat Florida an der Golfküste, wo stets eine leichte subtropische Brise in den saftig grünen Palmwedeln spielte. Lynette hingegen verbrachte die meiste Zeit hier in Aspen, Colorado, wo ihr zwei Skihütten gehörten und sie eines der größten Häuser bewohnte, die er je gesehen hatte. Sie nannte es ihr Chateau.
Er bezeichnete es als Hotel, weil sich permanent Freunde und Verwandte in den sechzehn Schlafzimmern einquartierten, ganz zu schweigen von Sean Madigan, dem Skilehrer, der im Gästehaus wohnte, und der Haushälterin, die ein großes Apartment hinter der Küche im Untergeschoss bewohnte. Lynette war nicht gerne alleine - nicht einmal mit ihrem Ehemann.
Zumindest hatte sie diesmal dafür gesorgt, dass Jordan während seines Sommerbesuchs seine Ruhe hatte. Im Augenblick waren keine Geschäftspartner da, keine Gäste, keine Cousins oder Cousinen, keine Freunde. Die Leere in dem aus Granitstein gebauten Chateau-Hotel kam ihm beinahe unheimlich vor.
Jordan war hier, um über die Auflösung ihrer gescheiterten Ehe zu sprechen. Als er am Nachmittag die Scheidung vorgeschlagen hatte, hatte Lynette sofort eingewilligt. Allerdings hatte sie ihn gebeten, die juristischen Schritte erst in einem Monat einzuleiten, weil sie vorher noch irgendwelche geschäftlichen Dinge regeln wollte. Die Trennung war einvernehmlich, es gab keine bitteren Gefühle. Ihre Beziehung hatte einfach nicht funktioniert.
Im Grunde hatten sie nie irgendwelche Gemeinsamkeiten gehabt. Jordan hatte sich von Lynettes erstaunlicher Schönheit blenden lassen - ihrem langen, glänzend schwarzen Haar, den saphirblauen Augen und der perfekten blassen Haut. Selbst jetzt, nachdem die Ehe im Grunde vorbei war, erinnerte er sich noch voller Zärtlichkeit an ihre üppigen Rundungen und die vollen Brüste. Der Gedanke an ihren nackten Körper wärmte ihn. Er streckte den Arm aus, in der widersinnigen Hoffnung, dass sie vielleicht zu ihm ins Doppelbett gekommen war. Der guten alten Zeiten zuliebe.
Als er über das Kopfkissen tastete, spürte er kaltes Metall. Seine Finger umschlossen den Griff einer Pistole. Die Erinnerung an Lynettes Parfüm verschwand sofort, als ihm ein Hauch von Kordit und Pulver in die Nase drang. Diese Waffe, eine automatische Glock war vor kurzem erst abgefeuert worden.
Jordan sprang aus dem Bett, knipste das Licht an und blickte sich im Gästezimmer um.
Lynettes antike Möbel bildeten einen krassen Kontrast zu seinem Laptop, den er mitsamt Drucker auf einem Tisch abgestellt hatte. Auch das Handy lag dort. Alles schien an seinem Platz. Aber es musste jemand hier gewesen sein. Irgendjemand hatte die Pistole zurückgelassen.
Er überprüfte, ob sie geladen war. Dann schnappte er sich sein Handy, öffnete vorsichtig die Zimmertür und spähte in den Gang des ersten Stockwerks hinaus. Auf der einen Seite befand sich das Kirschholz-Geländer der Galerie, von der aus man hinunter ins Foyer blicken konnte. Auf der anderen Seite sah er die geschlossenen Türen der Gästezimmer, alle unbewohnt.
Das Schlafzimmer seiner Frau lag fünfzig Meter entfernt, am südlichen Ende des Gebäudes. Die Flügeltür stand weit offen.
„Lynette!"
Die dunkel verkleideten Wände an denen teure Originalgemälde hingen, schienen den Schall zu schlucken. Er rief ihren Namen nicht noch einmal. Er war sich absolut sicher, dass sie nicht mehr antworten konnte.
Nur mit Boxershorts bekleidet, rannte Jordan in ihre Suite. Er hetzte an den weißen Sofas vorbei in ihr ebenfalls weiß eingerichtetes Schlafzimmer, das so kühl wirkte wie eine Gletscherlandschaft. Im hellen, von der riesigen Spiegelwand reflektierten Licht mehrerer Lampen lag Lynette blutüberströmt auf
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