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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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werden. War weiter hübsch und adrett, doof und dämlich. Es war elf Uhr morgens. Vor zwölf Uhr mittags rauche und trinke ich nicht. Vielleicht war’s das. Ich legte mich auf den Boden und schloss die Augen. Es gab nur noch Mahler und mich. Wir umarmten uns, durchdrangen uns gegenseitig. Wir kamen zum Schluss. Ich meine, wir kamen zur Stille, und ich war sehr bewegt. Ich öffnete die Augen. Das blöde Bild hatte nichts mitbekommen. Es war völlig unsensibel, jung und unverschämt. Ich hatte Lust, auf das Bild zu scheißen. Es war ein Idiot. War als Idiot geboren und hatte keine Aussicht auf Besserung, und ich kriegte es nicht in den Griff. Das machte mich wütend. Und ich durfte noch nichts trinken. Durfte der Versuchung nicht nachgeben. Wenn ich vor zwölf einen Schluck trinke, bin ich verloren. Ich sage zwölf Uhr mittags als Symbol. Tatsächlich schaffe ich es meistens, die Uhrzeit noch ein bisschen hinauszuschieben und erst in der Abenddämmerung zu beginnen, der angemessenen Stunde fürs Trinken. Eine Dämmerung am Meer, von meiner Dachterrasse aus, verlangt nach Rum, dickarschigen schwarzen Frauen, Gras, Pornofilmen, Transvestiten. Nach allen Sünden, die es gibt. Ruft nicht, sondern schreit danach. Man muss ein harter Bursche sein, um sich solche Vergnügungen in der Dämmerung zu versagen.
    Trotz allem wollte ich an diesem Nachmittag zu den Anonymen Alkoholikern gehen. Vielleicht würde mir das ja was nützen. Wenigstens war ich inzwischen schon in der Lage, mir selbst einzugestehen, dass ich durchschnittlich eine Flasche Rum am Tag trank. Einen widerlichen, billigen Rum. Er ruinierte mein Portemonnaie, meine Leber, meine Bauchspeicheldrüse und alles andere auch. Und je nachdem, wie ihre Software des jeweiligen Tages aussah, trank Julia fifty-fifty mit mir oder wies mich kategorisch zurück und wiederholte vierzigmal: »Das ist das reine Gift. Wer weiß, wie sie das machen und wo. Das bringt dich glatt um.«
    Es klopfte an der Tür. Das überraschte mich, aber es freute mich auch. Da standen zwei Frauen mit Bibeln in der Hand. Predigerinnen. Die gibt es häufig in diesem Teufelsviertel. Sie gehen von Tür zu Tür. Aber hier stammen alle aus Afrika, und deshalb wird hier Santería betrieben, Heiligenverehrung. Wenn die Prediger fragen: »Glauben Sie an Gott?«, ist die Antwort meistens: »Ja, aber hier haben wir unsere eigene Religion. Und das ist die einzig richtige, weil das hat mir alles meine Großmutter weitergegeben, die …« Die Prediger bitten höflich um Entschuldigung, gehen wieder, klopfen an die nächste Tür, wo sich die Szene wiederholt. Und so geht’s endlos weiter.
    Sie waren sehr anständig angezogen, mit Kleidern, die nicht in Versuchung führen sollten: weiten, grauen Blusen mit Ärmeln bis über die Ellbogen und hochgeschlossenen Krägen mit weißer Spitze, wie man sie in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts kannte. Schwarze Faltenröcke, die zwei Zoll unterhalb der Knie endeten. Schwarze, bis über die Knöchel geschlossene Schuhe. Einfache Frisuren und überhaupt kein Make-up. Völlig anders als der Rest der Frauen auf der Straße, die fast alle enge, knappe Shorts tragen, die manchmal ein Stückchen Hintern sehen lassen, Tops, die kaum die Brüste bedecken und den Bauchnabel frei lassen. Durchsichtige oder knallenge Blusen ohne Büstenhalter, die Brustwarzen hoch aufgerichtet. Und so gehen sie munter durchs Leben, mit dem Apfel in der Hand. Sie grüßten mich mit einem leichten Lächeln:
    »Guten Tag. Gestatten Sie uns, einen Augenblick mit Ihnen über die Existenz Gottes und seine göttliche Gnade zu sprechen?«
    »Ja, gern. Kommen Sie rein.«
    Sie waren überrascht, hatten wohl nicht mit einer so freundlichen Aufnahme gerechnet. Sie traten ein, setzten sich und verloren keine Zeit. Sie wissen auswendig, was sie sagen müssen. Nur eine der beiden sprach. Die Jüngere. Vielleicht war sie besser ausgebildet oder überzeugender oder wollte eine richtige Profi-Predigerin werden. Keine Ahnung. Die andere war eine Mulattin von paarunddreißig oder vierzig Jahren. Sehr interessant. Trotz der züchtigen, weiten Bluse sah man, das sie sehr hübsche Titten hatte. Die konnte sie nicht verstecken. Sie hatte volle Lippen und einen verführerischen Blick. Beinahe lasziv. Beinahe. Sie hielt sich im Zaum. Unsere Blicke trafen sich mehrere Male, und sie senkte schnell die Augen und presste die Lippen aufeinander. Mir gefiel das sehr, diese Geste, wie Rotkäppchen, das vor dem bösen Wolf

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