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Der unsichtbare Mond

Der unsichtbare Mond

Titel: Der unsichtbare Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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hineinkritzelte, was er sah. Als die Türen des Soame’s sich öffneten, wurde offenbar, wozu er sein erworbenes Wissen genutzt hatte.
    Oberhalb des zweiten Stockwerks – das von einer Galerie aus Eichenholz umgeben war, die wiederum etwa vier Meter über dem Eingang entlang der Wände verlief – befand sich ein weiteres Gerüst, das sich weit in das Innere der Kuppel hinein erstreckte. Darüber waren die Anfänge jenes Projektes sichtbar, dem Tetsuo viele Jahre zu widmen gedachte: seine eigene Interpretation von Michelangelos ›Jüngstem Gericht‹ an der Decke der Sixtinischen Kapelle.
    Um nicht zurückzustehen, hatte Fujiko die letzten Monate der Bauarbeiten damit verbracht, den Innenaufbau des Erdgeschosses zu entwerfen und zu lernen, wie man Kaffee kocht. Meredith, die zwei Jahrzehnte nach dem Beginn des ganzen Unterfangens angekommen war, konnte zwei Dinge aufrichtig bestätigen: Es gab einen Grund dafür, dass Michelangelos gesamte Einstellung zur Kunst lautete: ›Es ist fertig, wenn es fertig ist.‹. Nach ungefähr zweihundertvierzig Monaten Arbeit hatte Tetsuo erst etwa ein Viertel der Szene geschafft, und wenn man nach einem Jahr immer noch keinen guten Kaffee machen kann, dann wird man es wahrscheinlich niemals lernen. Nach drei Jahren gab Fuji es schließlich auf und stellte ein freundliches, gesprächiges Ehepaar aus der Gegend ein, Glen und Delna Beecroft, die das Cafe betreiben sollten, während sie ihre Aufmerksamkeit ihrer wahren Liebe zuwandte – alten Büchern.
    Die für die Öffentlichkeit bestimmte Bibliothek säumte die Haupthalle und wurde sorgfältig in Ordnung gehalten. Sie umfasste eine breite Auswahl an esoterischen Themen. Auf der Rückseite der Essigfabrik befand sich jedoch ein drei Stockwerke umfassender Anbau, der aus zwei Gründen gebaut worden war: Die Kawaminamis nutzten ihn als ihr persönliches Wohnhaus und als eine gesicherte Einrichtung, in der sie ihre private Sammlung unterbrachten – Fujis geschlossenes Magazin. Es wurde gemunkelt, dass sie Stücke besaß, auf die es auch einflussreiche Institutionen wie die Huntington Library oder das Smithsonian Institut abgesehen hatten. Nur mit großem Widerwillen verlieh sie etwas oder gestattete jemandem auch nur einen Blick darauf. Lediglich drei weitere Personen hatten Zugang zu dem geschlossenen Magazin: ihr persönlicher Bibliothekar; Tetsuo; und der Erbe des Familienvermächtnisses, Shingo.
     

     
    Tetsuo war für die Kosten von Merediths Umzug aus Wien aufgekommen, damit sie bei der Beerdigung ihres Vaters zugegen sein und sich um seine Angelegenheiten kümmern konnte; ebenso für ihre Miete und medizinische Versorgung nach dem Unfall, als sie nicht arbeiten konnte. Außerdem ließ er sie im Soame’s niemals eine Rechnung bezahlen. (Vermutlich war das der Hauptgrund, warum Harald es vorzog, ihre Auftragsbesprechungen dorthin zu verlegen, denn er war immer vollkommen pleite.)
    Die Legende erzählte, dass Tetsuo etwa zwei Jahre nach der Eröffnung des Cafes auf dem Gerüst gestanden und an Moses oder jemandem von ähnlicher Bedeutung gearbeitet hatte, als sich ein Teil der Stützen auseinanderbog und zusammenzubrechen begann. Tetsuo wurde sofort klar, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach zu Tode stürzen würde. Aber noch schlimmer war für ihn die Erkenntnis, dass die gesamte Konstruktion in Richtung Theke kippte, an der gerade Fuji arbeitete – ein Konstruktionsfehler würde sie beide töten!
    Beinahe im selben Augenblick sprang ein großer, kräftiger Mann in dunkler Kleidung auf, der den ganzen Morgen an einem Tisch in der Nähe der Theke über einer einzigen Tasse Kaffee zugebracht hatte, und zwängte sich unter das zusammenbrechende Gerüst. Mit angespannten Muskeln richtete er sich langsam auf und drückte es nach oben. So konnte Fuji aus der Gefahrenzone flüchten und Tetsuo auf stabilere Stangen und Bretter klettern. Von Fujis schrillen Schreien angezogen, eilten einige andere Gäste und Passanten herbei und halfen, die Konstruktion zu stützen, bis es Tetsuo gelungen war, die Schwachstelle zu reparieren und sie mit Verstrebungen zu sichern. Erst dann bemerkten sie, dass sich ein fünf Zentimeter breites Stahlrohr in das Genick des großen Mannes gebohrt hatte und auf der anderen Seite wieder herausragte. Nur einen Millimeter weiter links oder rechts und er wäre verblutet oder sein Rückgrat wäre durchtrennt worden. Er zuckte oder schrie nicht, bis die Sanitäter kamen und die Stange vom Rahmen absägten, und

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