Der Untergang des Abendlandes
besitzt die Gesamtheit dieser Religionen von Armenien bis nach Südarabien und Axum und von Persien bis Byzanz und Alexandria hin trotz aller Gegensätze im einzelnen [Sie sind nicht größer als die zwischen dorischer, attischer und etruskischer Kunst und wohl geringer als die, welche um 1450 zwischen florentinischer Renaissance, nordfranzösischer, spanischer und ostdeutscher (Backstein-)Gotik bestanden.] einen künstlerischen Ausdruck von großer Einheitlichkeit.
Alle
diese Religionen, die christliche, jüdische, persische, manichäische, synkretistische [Vgl. Bd. II, S. 862ff.] besaßen Kultbauten und, zum wenigsten in der Schrift, ein Ornament vom höchsten Range; und mochten ihre Lehren im einzelnen noch so verschieden sein, so geht doch eine gleichartige Religiosität durch alle hindurch und fand in einem gleichartigen Tiefenerlebnis mit daraus folgender Raumsymbolik ihren Ausdruck. Es gibt etwas in den Basiliken der Christen, hellenistischen Juden und Baalskulte, in den Mithräen, mazdaischen Feuertempeln und Moscheen, was von einem gleichen Seelentum spricht: das Höhlengefühl.
Die Forschung muß entschieden den Versuch machen, die bis jetzt vollkommen vernachlässigte Architektur der südarabischen und persischen Tempel, der syrischen wie der mesopotamischen Synagogen, der Kultbauten im östlichen Kleinasien und selbst in Abessinien [Die ältesten christlichen Anlagen im Reich von Axum stimmen sicherlich mit den heidnischen der Sabäer überein.] festzustellen, und von den christlichen Kirchen nicht nur die des paulinischen Westens zu begreifen, sondern auch die des nestorianischen Ostens vom Euphrat bis nach China, wo man sie vielsagend in alten Berichten als »persische Tempel« bezeichnet hat. Wenn von all diesen Bauten sich bis jetzt so gut wie nichts dem Blick aufgedrängt hat, so kann der Grund sehr wohl auch darin liegen, daß mit dem Vordringen erst des Christentums und dann des Islams die Kultstätten die Religion gewechselt haben, ohne daß Anlage und Stil dem widersprechen. Von spätantiken Tempeln wissen wir das, aber wie viele Kirchen Armeniens mögen einst Feuertempel gewesen sein?
Der künstlerische Mittelpunkt dieser Kultur liegt entschieden, wie Strzygowski richtig erkannt hat, in dem Städtedreieck Edessa-Nisibis-Amida. Von hier aus herrscht nach Westen die »spätantike« Pseudomorphose: [Vgl. Bd. II, S. 784.] das paulinische, auf den Konzilen von Ephesus und Chalcedon [Vgl. Bd. II, S. 874, 923.] siegreiche, in Byzanz und Rom geltende Christentum, das westliche Judentum und die Kulte des Synkretismus.
Der Bautypus der Pseudomorphose ist die Basilika
, auch für Juden und Heiden. [Kohl und Watzinger, Antike Synagogen in Galiläa (1916). Basiliken sind die Baalheiligtümer in Palmyra, Baalbek und zahlreichen andern Orten, zum Teil älter als das Christentum und vielfach später in dessen Gebrauch übergegangen.] Sie drückt mit den Mitteln der Antike deren Gegensatz aus, ohne sich von den Mitteln befreien zu können: das ist das Wesen und die Tragik der Pseudomorphose. Je mehr im »antiken« Synkretismus der euklidische Ort, an welchem ein Kult zu Hause ist, in die örtliche unbestimmte
Gemeinde
übergeht, welche sich zu dem Kult bekennt, [Vgl. Bd. II, S. 801.] desto wichtiger wird das Tempelinnere gegenüber der Außenseite, ohne daß Grundriß, Säulenordnung und Dach sich viel zu ändern brauchen. Das Raumgefühl wird anders, nicht – zunächst – die Ausdrucksmittel. Im heidnischen Kultbau der Kaiserzeit führt ein deutlicher, aber heute noch unbeachteter Weg von den ganz körperhaften Tempeln augusteischen Stils, deren Cella architektonisch
nichts
bedeutet, zu solchen, deren Inneres
allein
Bedeutung besitzt. Zuletzt ist das Außenbild des dorischen Peripteros auf die vier Innenwände übertragen. Die Säulenreihe vor der fensterlosen Wand verleugnet den dahinter liegenden Raum, aber dort für den Betrachter draußen, hier für die Gemeinde im Innern. Es ist demgegenüber von geringerer Bedeutung, ob der
ganze
Raum zugedeckt ist, wie in der eigentlichen Basilika, oder nur das Allerheiligste wie im Sonnentempel von Baalbek mit dem gewaltigen Vorhof, [Frauberger, Die Akropolis von Baalbek, Tf. 22.] der später stets zur Anlage der Moschee gehört und vielleicht südarabischer Herkunft ist. [Diez, Die Kunst der islamischen Völker, S. 8 f. In altsabäischen Tempeln liegt vor der Orakelkapelle (makanat) der Altarhof (mahdar).] Für die Bedeutung des Mittelschiffs als ursprünglichem
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