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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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ebenso wie im Byzanz von 900 und im Empire des Nordens. Ein Hindämmern in leeren, ererbten, in archaistischer oder eklektischer Weise vorübergehend wieder belebten Formen ist das Ende. Halber Ernst und fragwürdige Echtheit beherrschen das Künstlertum. In diesem Falle befinden wir uns heute. Es ist ein langes Spielen mit toten Formen, an denen man sich die Illusion einer lebendigen Kunst erhalten möchte.
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    Erst wenn man sich von der Täuschung jener antiken Kruste befreit hat, die mit einer archaisierenden oder willkürlich eigne und fremde Motive mischenden Fortsetzung innerlich längst erstorbener Kunstübungen den jungen Osten in der Kaiserzeit überlagert; wenn man in der altchristlichen Kunst und in allem, was in der »spätrömischen« wirklich lebendig ist, die Frühzeit des
arabischen
Stils erkannt hat; wenn man in der Epoche Justinians I. das genaue Seitenstück des spanisch-venezianischen Barock wiederfindet, wie es unter den großen Habsburgern Karl V. und Philipp II. Europa beherrschte; in den Palästen von Byzanz mit ihren mächtigen Schlachtenbildern und Prunkszenen, deren längst untergegangene Pracht höfische Literaten wie Prokop von Cäsarea in schwülstigen Reden und Versen feiern, das Seitenstück der Paläste des frühen Barock in Madrid, Venedig und Rom und die dekorativen Riesengemälde von Rubens und Tintoretto: erst dann gewinnt das bisher als Einheit nicht begriffene Phänomen der arabischen Kunst – das volle erste Jahrtausend unserer Zeitrechnung umfassend – Gestalt. Da es an entscheidender Stelle im Bilde der Gesamtkunstgeschichte steht, so hat das bisher waltende Mißverstehen die Erkenntnis der organischen Zusammenhänge überhaupt verhindert. [Zum folg. Bd. II, Kap. III.]
    Merkwürdig und für den, der hier einen Blick für bisher unbekannte Dinge gewonnen hat, ergreifend ist es zu sehen, wie diese junge Seele, vom Geist der antiken Zivilisation in Fesseln gehalten, unter den Eindrücken vor allem der politischen Allmacht Roms es nicht wagte, sich frei zu regen, wie sie demütig sich veralteten und fremden Formen unterwarf und sich mit griechischer Sprache, griechischen Ideen und Kunstmotiven zu bescheiden suchte. Die inbrünstige Hingabe an die Mächte der jungen Tageswelt, wie sie die Jugend jeder Kultur bezeichnet, die Demut des gotischen Menschen in seinen frommen, hochgewölbten Räumen mit den Pfeilerstatuen und lichterfüllten Glasgemälden, die hohe Spannung der ägyptischen Seele inmitten ihrer Welt der Pyramiden, Lotossäulen und Reliefsälen mischt sich hier mit einem geistigen Niederknien vor erstorbenen Formen, die man für ewig hielt. Daß ihre Herübernahme und Weiterbildung trotzdem nicht gelang, daß wider Willen und unvermerkt, ohne den Stolz der Gotik auf das Eigne, das man hier, im Syrien der Kaiserzeit, fast beklagte und als Verfall empfand, eine geschlossene neue Formenwelt emporstieg und mit ihrem Geiste – unter der Maske griechisch-römischer Baugewohnheiten – selbst Rom erfüllte, wo syrische Meister am Pantheon und den Kaiserforen arbeiteten, das beweist wie kein zweites Beispiel die Urkraft eines jungen Seelentums, das seine Welt erst noch zu erobern hat.
    Wie jede Frühzeit, so sucht auch diese den Ausdruck ihres Seelentums in eine neue Ornamentik, vor allem in deren Gipfel, eine religiöse Architektur zu legen. Aber von dieser ganzen reichen Formenwelt ist bis vor kurzem nur die des westlichen Randes beachtet und deshalb als Heimat und Sitz der magischen Stilgeschichte aufgefaßt worden, obwohl – wie in Religion, Wissenschaft, sozialem und politischem Leben – nur Ausstrahlungen über die Ostgrenze des römischen Imperiums nach Westen drangen. [Vgl. Bd. II, S. 798f.] Riegl [Stilfragen: Grundlagen zu einer Geschichte der Ornamentik (1893). Spätrömische Kunstindustrie (1901).] und Strzygowski [Amida (1910). Die bildende Kunst des Ostens (1916). Altai-Iran (1917). Die Baukunst der Armenier und Europa (1918).] haben diese Lage erkannt, aber um darüber hinaus zu einem vollständigen
Bilde
der arabischen Kunstentwicklung zu gelangen, muß man sich gleichmäßig von philologischen und religiösen Vorurteilen befreien. Es ist ein Unglück, daß die Kunstforschung religiöse Grenzen wenn auch nicht mehr anerkennt, so doch unbewußt zugrunde legt. Denn es gibt weder eine spätantike noch eine altchristliche noch eine islamische Kunst in dem Sinne, daß die Gemeinschaft der Bekenner in ihrer Mitte einen eignen Stil ausgebildet hätte. Vielmehr

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