Der Untergang des Abendlandes
Erster Band - Gestalt und Wirklichkeit
(1918)
Vorwort zur 33. - 47. Auflage (Neubearbeitung)
Am Schlusse einer Arbeit, die vom ersten kurzen Entwurf bis zur endgültigen Fassung eines Gesamtwerks von ganz unvorhergesehenem Umfang zehn Lebensjahre umfaßt, ziemt sich wohl ein Rückblick auf das, was ich gewollt und erreicht, wie ich es aufgefunden habe und wie ich heute dazu stehe.
In der Einleitung zur Ausgabe von 1918 – einem Fragment nach außen
und
innen – hatte ich gesagt, daß hier nach meiner Überzeugung die unwiderlegliche Formulierung eines Gedankens vorliege, den man nicht mehr bestreiten werde, sobald er einmal ausgesprochen sei. Ich hätte sagen sollen: sobald er verstanden sei. Denn dazu bedarf es, wie ich mehr und mehr einsehe, nicht nur in diesem Falle, sondern in der Geschichte des Denkens überhaupt einer neuen Generation, die mit der Anlage dazu
geboren
ist.
Ich hatte hinzugefügt, daß es sich um einen ersten Versuch handle, mit allen Fehlern eines solchen behaftet, unvollständig und sicherlich nicht ohne inneren Widerspruch. Diese Bemerkung ist bei weitem nicht so ernst genommen worden, wie sie gemeint war. Wer je einen tiefen Blick in die Voraussetzungen lebendigen Denkens getan hat, der wird wissen, daß eine widerspruchslose Einsicht in die letzten Gründe des Daseins uns nicht gegeben ist. Ein Denker ist ein Mensch, dem es bestimmt war, durch das eigene Schauen und Verstehen die Zeit symbolisch darzustellen. Er hat keine Wahl. Er denkt, wie er denken muß, und wahr ist zuletzt für ihn, was als Bild seiner Welt mit ihm geboren wurde. Es ist das, was er nicht erfindet, sondern in sich entdeckt. Es ist er selbst noch einmal, sein Wesen in Worte gefaßt, der Sinn seiner Persönlichkeit als Lehre geformt, unveränderlich für sein Leben, weil es mit seinem Leben
identisch
ist. Nur dieses Symbolische ist
notwendig
, Gefäß und Ausdruck menschlicher Geschichte. Was als philosophische Gelehrtenarbeit entsteht, ist überflüssig und vermehrt lediglich den Bestand einer Fachliteratur.
So vermag ich denn den Kern dessen, was ich gefunden habe, nur als »wahr« zu bezeichnen,
wahr für mich
, und, wie ich glaube, auch für die führenden Geister der kommenden Zeit, nicht wahr »an sich«, abgelöst nämlich von den Bedingungen von Blut und Geschichte, denn dergleichen gibt es nicht. Aber was ich im Sturm und Drang jener Jahre
schrieb
, war allerdings eine sehr unvollkommene Mitteilung dessen, was deutlich vor mir stand, und es blieb die Aufgabe der folgenden Jahre, durch die Anordnung von Tatsachen und den sprachlichen Ausdruck meinen Gedanken die mir erreichbare eindringliche Gestalt zu geben.
Vollenden läßt sie sich nie – das Leben selbst vollendet erst der Tod. Aber ich habe noch einmal versucht, auch die ältesten Teile auf die Höhe anschaulicher Darstellung zu heben, die mir heute zu Gebote steht, und damit nehme ich Abschied von dieser Arbeit mit ihren Hoffnungen und Enttäuschungen, ihren Vorzügen und Fehlern.
Das Ergebnis hat inzwischen seine Probe
für mich
bestanden, auch für andre, wenn ich nach der Wirkung urteilen darf, die es auf weite Wissensgebiete langsam auszuüben beginnt. Um so schärfer habe ich die Grenze zu betonen, die ich mir selbst in diesem Buch gesetzt habe. Man suche nicht alles darin. Es enthält nur
eine Seite
von dem, was ich vor mir sehe, einen neuen Blick
allein auf die Geschichte, eine Philosophie des Schicksals
, und zwar die erste ihrer Art. Es ist anschaulich durch und durch, geschrieben in einer Sprache, welche die Gegenstände und die Beziehungen sinnlich nachzubilden sucht, statt sie durch Begriffsreihen zu ersetzen, und es wendet sich allein an Leser, welche die Wortklänge und Bilder ebenso nachzuerleben verstehen. Dergleichen ist schwer, besonders wenn die Ehrfurcht vor dem Geheimnis – die Ehrfurcht Goethes – uns hindert, begriffliche Zergliederungen für Tiefblicke zu halten.
Da erhebt sich denn das Geschrei über Pessimismus, mit dem die Ewiggestrigen jeden Gedanken verfolgen, der nur für die Pfadfinder des Morgen bestimmt ist. Indessen habe ich nicht für solche geschrieben, welche das Grübeln über das Wesen der Tat für eine Tat halten. Wer definiert, der kennt das Schicksal nicht.
Die Welt verstehen nenne ich der Welt
gewachsen sein
. Die
Härte
des Lebens ist wesentlich, nicht der Begriff des Lebens, wie es die Vogel-Strauß-Philosophie des Idealismus lehrt. Wer sich nichts von Begriffen vormachen läßt, empfindet das nicht
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