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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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dieser letzte Akt der Kultur, ihre Selbstverneinung, noch einmal das Ursymbol ihres ganzen Daseins zum Ausdruck bringt. Der faustische Nihilist, Ibsen wie Nietzsche, Marx wie Wagner, zertrümmert die Ideale; der apollinische, Epikur wie Antisthenes und Zenon, läßt sie vor seinen Augen zerfallen; der indische zieht sich vor ihnen in sich selbst zurück. Der Stoizismus ist auf ein
Sichverhalten des einzelnen
gerichtet, auf ein statuenhaftes, rein gegenwärtiges Sein, ohne Beziehung auf Zukunft und Vergangenheit, oder auf andre. Der Sozialismus ist die dynamische Behandlung des gleichen Themas: dieselbe Verteidigung nicht auf die Haltung, sondern die Auswirkung des Lebens, aber mit einem mächtig angreifenden Zug ins Ferne auf die gesamte Zukunft und die gesamte Masse der Menschen erstreckt, die einer einzigen Methode unterworfen werden
sollen
; der Buddhismus, den nur ein Dilettant von Religionsforscher mit dem Christentum vergleichen kann, [Und es müßte erst gesagt werden, ob mit dem Christentum der Kirchenväter oder mit dem der Kreuzzüge, denn dies sind zwei verschiedene Religionen unter derselben dogmatisch-kultischen Gewandung. Der gleiche Mangel an psychologischem Feingefühl tritt in dem beliebten Vergleich des heutigen Sozialismus mit dem Urchristentum zutage.] ist durch die Worte abendländischer Sprachen kaum wiederzugeben. Aber es ist erlaubt, von einem stoischen Nirwana zu reden und auf die Gestalt des Diogenes zu verweisen; auch der Begriff eines sozialistischen Nirwana ist zu rechtfertigen, sofern man die Flucht vor dem Kampf ums Dasein ins Auge faßt, wie die europäische Müdigkeit sie in die Schlagworte Weltfriede, Humanität und Verbrüderung aller Menschen kleidet. Aber nichts von dem reicht an den unheimlich tiefen Begriff des buddhistischen Nirwana heran. Es scheint, daß die Seele alter Kulturen in den letzten Verfeinerungen und sterbend wie eifersüchtig auf ihr eigenstes Eigentum, ihren Gehalt an Form, auf das mit ihr geborene Ursymbol ist. Es gibt nichts im Buddhismus, das »christlich« sein könnte, nichts im Stoizismus, das im Islam von 1000 n. Chr. vorkommt, nichts was Konfuzius mit dem Sozialismus gemein hätte. Der Satz:
si duo faciunt idem, non est idem
, der an der Spitze jeder historischen Betrachtung stehen sollte, die es mit lebendigem, nie sich wiederholendem Werden und nicht mit logisch, kausal und zahlenmäßig ergreifbarem Gewordnen zu tun hat, gilt ganz besonders von diesen, eine Kulturbewegung abschließenden Äußerungen. In allen Zivilisationen wird ein durch
seeltes
Sein von einem durch
geistigten
abgelöst, aber dieser Geist ist in jedem einzelnen Falle von andrer Struktur und der Formensprache einer andern Symbolik unterworfen. Gerade bei aller Einzigkeit des Seins, das im Unbewußten wirkend diese späten Gebilde der historischen Oberfläche schafft, ist deren Verwandtschaft der
historischen Stufe nach
von entscheidender Bedeutung. Was sie zum Ausdruck bringen, ist verschieden, daß sie es
so
zum Ausdruck bringen, kennzeichnet sie als »gleichzeitig«. Stoisch wirkt der Verzicht Buddhas, buddhistisch der stoische Verzicht auf das volle resolute Leben. Auf das Verhältnis der Katharsis des attischen Dramas zur Idee des Nirwana war oben schon hingewiesen worden. Man hat das Gefühl, als befinde sich der ethische Sozialismus, obwohl ein ganzes Jahrhundert sich schon seiner Durchbildung widmete, noch heute nicht in der klaren, harten, resignierten Fassung, die seine endgültige sein wird. Vielleicht werden die nächsten Jahrzehnte ihm die reife Formel geben, wie sie Chrysipp der Stoa gab. Aber stoisch wirkt schon heute – in den höheren, sehr engen Kreisen – seine Tendenz zur Selbstzucht und Entsagung aus dem Bewußtsein einer großen Bestimmung heraus, das römisch-preußische, ganz unpopuläre Element in ihm, und buddhistisch seine Geringschätzung eines augenblicklichen Behagens, des
carpe diem
; epikuräisch erscheint sicherlich das populäre Ideal, dem er ausschließlich die Wirksamkeit nach unten und in die Breite verdankt, jener Kultus der ηδονε, nicht des einzelnen für sich, sondern einzelner im Namen der Ganzheit.
    Jede Seele hat Religion. Das ist nur ein anderes Wort für ihr Dasein. Alle lebendigen Formen, in denen sie sich ausspricht, alle Künste, Lehren, Bräuche, alle metaphysischen und mathematischen Formenwelten, jedes Ornament, jede Säule, jeder Vers, jede Idee ist im Tiefsten religiös und
muß
es sein. Von nun an
kann
sie es nicht mehr

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