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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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weiß, wie selbst Nietzsche sich im »Ecce homo« in Fragen dieser Art gefällt.
17
    Überblicken wir noch einmal den Sozialismus, unabhängig von der gleichnamigen Wirtschaftsbewegung, als das faustische Beispiel einer zivilisierten Ethik. Was seine Freunde und Feinde von ihm sagen, daß er die Gestalt der Zukunft oder daß er ein Zeichen des Niederganges sei, ist gleich richtig. Wir alle sind Sozialisten, ob wir es wissen und wollen oder nicht. Selbst der Widerstand gegen ihn trägt seine Form.
    Alle antiken Menschen der späten Zeit waren mit der gleichen inneren Notwendigkeit Stoiker, ohne es zu wissen. Das ganze römische Volk, als Körper, hat eine stoische Seele. Der echte Römer, gerade der, welcher es am entschiedensten bestritten hätte, ist in einem strengeren Grade Stoiker, als es je ein Grieche hätte sein können. Die lateinische Sprache des letzten vorchristlichen Jahrhunderts ist die mächtigste Schöpfung des Stoizismus geblieben.
    Der ethische Sozialismus ist das überhaupt erreichbare Maximum eines Lebensgefühls unter dem Aspekt von Zwecken
. [Zum folgenden vgl. »Preußentum und Sozialismus«, S. 22 ff.] Denn die bewegte Richtung des Daseins, in den Worten Zeit und Schicksal fühlbar, bildet sich, sobald sie starr, bewußt, erkannt ist, in den geistigen Mechanismus der Mittel und Zwecke um. Richtung ist das Lebendige, Zweck das Tote. Faustisch überhaupt ist die Leidenschaft des Vordringens, sozialistisch im besonderen der mechanische Rest, der »Fortschritt«. Sie verhalten sich wie der Leib zum Skelett. Dies ist zugleich der Unterschied des Sozialismus vom Buddhismus und Stoizismus, die mit ihren Idealen des Nirwana und der Ataraxia ebenso mechanistisch gestimmt sind, aber nicht die dynamische Leidenschaft der Ausdehnung, den Willen zum Unendlichen, das Pathos der dritten Dimension kennen.
    Der ethische Sozialismus ist – trotz seiner Vordergrundillusionen –
kein
System des Mitleids, der Humanität, des Friedens und der Fürsorge, sondern des Willens zur Macht. Alles andere ist Selbsttäuschung. Das Ziel ist durchaus imperialistisch: Wohlfahrt, aber im expansiven Sinne, nicht der Kranken, sondern der Tatkräftigen, denen man die Freiheit des Wirkens geben will, und zwar mit Gewalt, ungehemmt durch die Widerstände des Besitzes, der Geburt und der Tradition. Gefühlsmoral, Moral auf das »Glück« und den Nutzen hin ist bei uns
nie
der letzte Instinkt, so oft es sich die Träger dieser Instinkte einreden. Man wird immer an die Spitze der moralischen Modernität Kant, in diesem Falle den Schüler Rousseaus, stellen müssen, dessen Ethik das Motiv des Mitleids ablehnt und die Formel prägt: »
Handle so
, daß –.« Alle Ethik dieses Stils will Ausdruck des Willens zum Unendlichen sein, und dieser Wille fordert Überwindung des Augenblicks, der Gegenwart, der Vordergründe des Lebens. An Stelle der sokratischen Formel: »Wissen ist Tugend« setzte schon Bacon den Spruch: »Wissen ist Macht«. Der Stoiker nimmt die Welt, wie sie ist. Der Sozialist will sie der Form, dem Gehalt nach organisieren, umprägen, mit
seinem Geist
erfüllen. Der Stoiker paßt sich an. Der Sozialist befiehlt. Die ganze Welt soll die Form seiner Anschauung tragen – so läßt sich die Idee der »Kritik der reinen Vernunft« ins Ethische umsetzen. Das ist der letzte Sinn des kategorischen Imperativs, den er aufs Politische, Soziale, Wirtschaftliche anwendet: Handle so, als ob die Maxime deines Handelns
durch deinen Willen zum allgemeinen Gesetz werden sollte
. Und diese tyrannische Tendenz ist selbst den flachsten Erscheinungen der Zeit nicht fremd.
    Nicht die Haltung und Gebärde, die Tätigkeit soll gestaltet werden. Wie in China und Ägypten kommt das Leben nur in Betracht, insofern es Tat ist. Und erst so, durch die Mechanisierung des organischen Bildes der Tat, entsteht die
Arbeit im heutigen Sprachgebrauch als die zivilisierte Form faustischen Wirkens
. Diese Moral, der Drang, dem Leben die denkbar aktivste Form zu geben, ist stärker als die Vernunft, deren Moralprogramme, sie mögen noch so geheiligt, inbrünstig geglaubt, leidenschaftlich verteidigt sein, nur insoweit wirken, als sie in der Richtung dieses Dranges liegen oder in ihr mißverstanden werden. Im übrigen bleiben sie Worte. Man unterscheide in aller Modernität wohl die volkstümliche Seite, das süße Nichtstun, die Sorge um Gesundheit, Glück, Sorglosigkeit, den allgemeinen Frieden, kurz das vermeintlich Christliche von dem höheren Ethos, das nur

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