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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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an einen Herrn Frankfurter verkauft wird?«
    Während Diederich noch erschüttert schwieg, klingelte es, und Herr von Barnim sagte: »Es ist mein Barbier, den will ich mir auch mal vornehmen.«
    Er bemerkte Diederichs Enttäuschung und setzte hinzu: »Natürlich rede ich mit solch einem Mann anders. Aber jeder von uns muß an seinem Teil der Sozialdemokratie Abbruch tun und die kleinen Leute in das Lager unseres christlichen Kaisers hinüberziehen. Tun auch Sie das Ihre!«
    Damit war Diederich entlassen. Er hörte den Barbier noch sagen: »Schon wieder ein alter Kunde, Herr Assessor, der zu Liebling hinübergeht, bloß weil Liebling jetzt Marmor hat.«
    Wiebel sagte, als Diederich ihm berichtete: »Das ist alles schön und gut, und ich habe eine ganz bedeutende Verehrung für die ideale Gesinnung meines Freundes von Barnim, aber auf die Dauer kommen wir damit nicht mehr weiter. Sehen Sie mal, auch Stöcker hat im Eispalast seine verdammten Erfahrungen gemacht mit der Demokratie, ob sie sich nun christlich nennt oder unchristlich. Die Dinge sind zu weit gediehen. Heute heißt es bloß noch: losschlagen, solange wir die Macht haben.«
    Und Diederich stimmte erleichtert bei. Herumgehen und Christen werben war ihm gleich ein wenig peinlich erschienen.
    »Die Sozialdemokratie nehme ich auf mich, hat der Kaiser gesagt.« Wiebels Augen drohten katerhaft. »Nun, was wollen Sie mehr? Das Militär ist darüber instruiert, es könne vorkommen, daß es auf die lieben Verwandten schießen muß. Also? Ich kann Ihnen mitteilen, mein Lieber, wir stehen am Vorabend großer Ereignisse.« Da Diederich erregte Neugier zeigte: »Was ich durch meinen Vetter von Klappke —«
    Wiebel machte eine Pause. Diederich zog die Absätze zusammen.
    »— in Erfahrung gebracht habe, ist noch nicht für die Öffentlichkeit reif. Ich will nur bemerken, daß der gestrige Ausspruch Seiner Majestät, die Nörgler möchten gefälligst den deutschen Staub von ihren Pantoffeln schütteln, eine verteufelt ernst zu nehmende Warnung war.«
    »Tatsächlich? Sie glauben?« sagte Diederich. »Dann ist mein Pech wirklich skandalös, daß ich gerade jetzt aus dem Dienst Seiner Majestät scheiden mußte. Ich darf sagen, daß ich gegen den inneren Feind meine volle Pflicht getan haben würde. Auf die Armee, soviel weiß ich, kann der Kaiser sich verlassen.«
    Er war in diesen naßkalten Februartagen des Jahres 1892 viel auf der Straße, in der Erwartung großer Ereignisse. Unter den Linden hatte sich etwas verändert, man sah noch nicht, was. Berittene Schutzleute hielten an den Mündungen der Straßen und warteten auch. Die Passanten zeigten einander das Aufgebot der Macht. »Die Arbeitslosen!« Man blieb stehen, um sie ankommen zu sehen. Sie kamen vom Norden her, in kleinen Abteilungen und im langsamen Marschschritt. Unter den Linden zögerten sie, wie verirrt, berieten sich mit den Blicken und lenkten nach dem Schloß ein. Dort standen sie, stumm, die Hände in den Taschen, ließen sich von den Rädern der Wagen mit Schlamm bespritzen und zogen die Schultern hoch unter dem Regen, der auf ihre entfärbten Überzieher fiel. Manche von ihnen wandten die Köpfe nach vorübergehenden Offizieren, nach den Damen in ihren Wagen, nach den langen Pelzen der Herren, die von der Burgstraße herschlenderten; und ihre Mienen waren ohne Ausdruck, nicht drohend und nicht einmal neugierig, nicht als wollten sie sehen, sondern als zeigten sie sich. Andere aber ließen kein Auge von den Fenstern des Schlosses. Das Wasser lief über ihre hinaufgewendeten Gesichter. Ein Pferd mit einem schreienden Schutzmann trieb sie weiter, hinüber oder bis zur nächsten Ecke — aber schon standen sie wieder, und die Welt schien versunken zwischen diesen breiten, hohlen Gesichtern, die fahler Abend beschien, und der starren Mauer dort hinten, auf der es dunkelte.
    »Ich begreife nicht«, sagte Diederich, »daß die Polizei nicht energischer vorgeht. Das ist doch eine unbotmäßige Bande.«
    »Lassen Sie's gut sein«, erwiderte Wiebel. »Die Schutzleute sind genau instruiert. Die Herren da oben haben ihre wohlüberlegten Absichten, das können Sie mir glauben. Es ist nämlich gar nicht immer zu wünschen, daß derartige Fäulniserscheinungen am Staatskörper gleich anfangs unterdrückt werden. Man läßt sie ausreifen, dann macht man ganze Arbeit!«
    Die Reife, die Wiebel meinte, kam täglich näher, am Sechsundzwanzigsten schien sie da. Die Demonstrationen der Arbeitslosen sahen zielbewußter aus.

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