Der Untertan
wäre es gewesen, auch nur im geheimsten Herzen sich aufzulehnen. Höchstens konnte man, gegen die eigene Überzeugung, sich manchmal drücken. Diederich war beim Laufen gefallen, der Fuß tat ihm weh. Nicht, daß er gerade hätte hinken müssen, aber er hinkte und durfte, wie die Kompagnie »ins Gelände« marschierte, zurückbleiben. Um dies zu erreichen, war er zunächst an den Hauptmann selbst herangetreten. »Herr Hauptmann, bitte —« Welche Katastrophe! Er hatte, in seiner Ahnungslosigkeit, vorwitzig das Wort an eine Macht gerichtet, von der man stumm auf den Knien des Geistes Befehle entgegenzunehmen hatte! Der man sich nur »vorführen« lassen konnte! Der Hauptmann donnerte, daß die Unteroffiziere zusammenliefen, mit Mienen, in denen das Entsetzen vor einer Lästerung stand. Die Folge war, daß Diederich stärker hinkte und einen Tag länger vom Dienst befreit werden mußte.
Unteroffizier Vanselow, der für die Untat seines Einjährigen verantwortlich war, sagte zu Diederich nur: »Das will ein gebildeter Mensch sein!« Er war es gewohnt, daß alles Unheil von den Einjährigen kam. Vanselow schlief in ihrem Mannschaftszimmer hinter einem Verschlag. Nach dem Lichtlöschen zoteten sie, bis der Unteroffizier empört dazwischenschrie: »Das wollen gebildete Leute sein!« Trotz seiner langen Erfahrung erwartete er immer noch von den Einjährigen mehr Geist und gute Haltung als von den andern Leuten und war immer neu enttäuscht. In Diederich sah er keineswegs den Schlimmsten. Das Bier, das einer zahlte, entschied nicht allein über Vanselows Meinung. Noch mehr sah Vanselow auf den soldatischen Geist freudiger Unterwerfung, und den hatte Diederich. In der Instruktionsstunde konnte man ihn den andern als Muster vorhalten. Diederich zeigte sich ganz erfüllt von den militärischen Idealen der Tapferkeit und der Ehrliebe. Was die Abzeichen und die Rangordnung betraf, so schien der Sinn dafür ihm angeboren. Vanselow sagte: »Jetzt bin ich der Herr Kommandierende General«, und auf der Stelle benahm Diederich sich, als glaubte er es. Wenn es aber hieß: »Jetzt bin ich ein Mitglied der Königlichen Familie«, dann war Diederichs Verhalten so, daß es dem Unteroffizier ein Lächeln des Größenwahns abnötigte.
Im Privatgespräch in der Kantine eröffnete Diederich seinem Vorgesetzten, daß er vom Soldatenleben begeistert sei. »Das Aufgehen im großen Ganzen!« sagte er. Er wünsche sich nichts auf der Welt, als ganz dabeizubleiben. Und er war aufrichtig — was aber nicht hinderte, daß er am Nachmittag, bei den Übungen »im Gelände«, keinen anderen Wunsch mehr kannte, als sich in den Graben zu legen und nicht mehr vorhanden zu sein. Die Uniform, die ohnedies, aus Rücksichten der Strammheit, zu eng geschnitten war, ward nach dem Essen zum Marterwerkzeug. Was half es, daß der Hauptmann, bei seinen Kommandos, sich unsäglich kühn und kriegerisch auf dem Pferd herumsetzte, wenn man selbst, rennend und schnaufend, die Suppe unverdaut im Magen schlenkern fühlte. Die sachliche Begeisterung, zu der Diederich völlig bereit war, mußte zurücktreten hinter der persönlichen Not. Der Fuß schmerzte wieder; und Diederich lauschte auf den Schmerz, in der angstvollen, mit Selbstverachtung verbundenen Hoffnung, es möchte schlimmer werden, so schlimm, daß er nicht wieder »ins Gelände« hinaus mußte, daß er vielleicht nicht einmal mehr im Kasernenhof üben konnte und daß man genötigt war, ihn zu entlassen!
Es kam dahin, daß er am Sonntag den alten Herrn eines Korpsbruders aufsuchte, der Geheimer Sanitätsrat war. Er müsse ihn um seinen Beistand bitten, sagte Diederich, rot vor Scham. Er sei begeistert für die Armee, für das große Ganze, und wäre am liebsten ganz dabeigeblieben. Man sei da in einem großartigen Betrieb, ein Teil der Macht sozusagen, und wisse immer, was man zu tun habe: das sei ein herrliches Gefühl. Aber der Fuß tue nun einmal weh. »Man darf es doch nicht so weit kommen lassen, daß er unbrauchbar wird. Schließlich habe ich Mutter und Geschwister zu ernähren.« Der Geheimrat untersuchte ihn. »Neuteutonia sei 's Panier«, sagte er. »Ich kenne zufällig Ihren Oberstabsarzt.« Hiervon war Diederich durch seinen Korpsbruder unterrichtet. Er empfahl sich, voll banger Hoffnung.
Die Hoffnung bewirkte, daß er am nächsten Morgen kaum noch auftreten konnte. Er meldete sich krank. »Wer sind Sie, was belästigen Sie mich« — und der Stabsarzt maß ihn. »Sie sehen aus wie das Leben, Ihr
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